5.

[10] 1.

Was ist die Welt/

Die mich bis her mit jhrer pracht bethöret?

Wie plötzlich felt/

Was Alt vnd Jung/ vnd Reich vnd Arm geehret!

Was ist doch alles was man alhier findt?

Ein leichter windt!


2.

Was itzund blüht/

Kan noch für abend gantz zutretten werden.

Der sich hier müht

Vmb flüchtig geldt/ muß ohne geldt zur erden.

Er sammelt fleissig (doch für ander) ein.

Vndt stirbt allein.


3.

Das kleine thier

Das seiden spint/ verstrickt sich in sein spinnen.

So müssen wir

Durch vnsern fleis/ oft vnsern todt gewinnen.

Viel hatt verstandt/ vndt was vns weise macht;

In's grab gebracht.


4.

Der Tulipan

Wird weil er gläntzt/ von jungfrawn abgeschnitten/[10]

Schaw Menschen an/

Sie haben schmach/ vmb das sie schön/ erlitten.

Vnd (wen sie nicht entzetzt ein schneller todt;)

Ach! angst vnd spott.


5.

Bistu bekandt?

So kan dir jeder deine feil' aufrückẽ.

Wofern dein standt

Verborgen ligt/ so wirdt dich jeder drücken.

Wer reich ist wird beneidet vnd ver- lacht/

Wer arm; verschmacht.


6.

Gleich als ein kahn

Baldt hin/ baldt her/ wird von der flutt geschmissen;

So fält vns an

Der sorgen sturm/ wir werden hingerissen

Auff dieses lebens schmertzẽ volle see.

Da eitell weh!


7.

Wie seelig ist

Wer schaden frey kan an den port einfahren!

Wer ihm erkiest/

Den rechten lauff der Gott ergebnen scharen/

Der kan/ ob wellen/ bergen gleich' aufstehn:

Nicht vntergehn!

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 10-11.
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