6.

Ach daß die Hülffe auß Sion vber Israel käme/vnd der Herr sein gefangen Volck erlösete: So würde Jacob frölich seyn vnd Israel sich frewen/Ps. 14. v. 7.

[46] Satz.


Wie der stoltze Schaum der Wellen

Getrotzt durch grausen Sturm/ vermischt mit wind vnd Sandt

Itzt durch die Wölcken sprütz't/ jtzt das bestürtzte Landt (J ij)[46]

Wo die Fischer Netz aufstellen

Mit brausen überschwemmt, wie er/ das Spiel der See

Ein halb zu scheittert Schiff/ jtzt aufschwingt in die Höh/

Bald mit sich in den Abgrundt reißt/

Bald über Klipp' auf Klippen schmeißt;

So handelt vnß die herbe Noth.

Der Menschen furcht der hartte Todt

Ist nicht so schrecklich alß das Leben

(Wofern es Leben heißt) in welchem wir verschmachten/

Biß wir den/ durch viel hohn/ vnd Geisseln vnd verachten/

Von hier verjagten Geist auf geben.

Ach! möcht vnß Rettung doch erquicken:

Ach! möcht vnß der doch hülffe schicken

Der sich in Sion hat verliebet

Vnd bricht was Israel betrübet.


Gegensatz.


Zwar! Er selbst hat diß verhangen

Daß man/ vnß die wir sein' vnß die er außerwehlet/

Die er für eigen schätzt vnd derer Haar' er zehlet

In dem Elend' hält gefangen.

Man hat was noch vielmehr die Fessel auff sein wortt

Vmb vnsern Halß gelegt. Er selbst hat diesen ortt

Zu vnserm Kampffplatz außerkiest.

Er hat was für vnd vmb vnß ist/

Mit Waffen wider vns gestärckt/

Vnd wie ein Jäger/ scharff bemerckt;

Damit wir ja im Garne blieben.

Er spreche nur ein wortt so wird der Strick zureissen/

Der Kercker offen stehn; Man wird vnß Freye heissen/

Erlöser! möcht' es dir belieben.

Daß wir die deine Thaten kennen

Dich doch Erlöser solten nennen.

Daß wir/ die dir nur dienen wolten

Nicht frembden Herren dienen solten.
[47]

Zusatz.


Es kommt nicht jederzeit von Weh-mutt daß man weynt/

Die Threnen die wir jtzt vergissen/

Die Zähren die so häuffig flissen/

Prest vnß ergetzung auß; Nicht vnlust/ wie man meynt.

Ich schaw/ ach! ach/ der Tag bricht an!

Vnd die herbe Nacht verschwindet/

Der Tag der vnß ergetzen kan/

Der die schwere band' entbindet.

Ade nun Babilon. Jtzt bin ich nicht gefangen.

Glück zu mein Vaterland ich bin der Angst entgangen

Frolockt jhr Sternen/ ich bin frey/

Die starcken Schlösser sind entzwey.

Ihr Wälder den ich offt mein leiden anvertrawt!

Ihr Zeugen meiner angst/ jhr Berg'/ jhr Thäler schawt

Wie mich deß Himmels gunst anlache/

Ach nein! mir traumt ach nein ich wache!

O alzu süsser wahn! was bild' ich mir doch eyn?

Ich fühle ja daß ich noch muß in schmertzen seyn!

Ach/ kan die Hoffnung mich so ohne maß' ergetzen!

Wie frölich werd' ich seyn/ wenn GOTT mich wird entsetzen!

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 46-48.
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