9.

Deß Herren Christi Verspeyung

[125] Auff die Melodey: Jam mæsta quiesce querela.


1.

Erschreckliche Nacht! schwere Bande!

Durchteuffelter Haß! hohe Schande!

Ihr Felsen kracht vnd erschüttert!

Ihr Berge bebt vnd erzittert.


2.

Der alles erlöst lässt sich binden;

Der herrliche Glantz muß verschwinden.

Den Gott mit Ehre gekrönet/

Wird leicht vnd gifftig verhönet.


3.

Sein klares Gesicht wird bedecket:

Verspeit/ angeplärr't vnd beflecket.

Das Haar zuraufft vnd zurissen/

Die Wangen grimmig zuschmissen.


4.

Weissage Prophet! Laß dich hören!

Wer ists der dich sucht zu versehren!

So rufft/ der Ihn hat besetzet!

In dem Er schlägt vnd verletzet.


5.

Das Licht brach hervor/ als mit hauffen/

Der mächtige Rath kömmt gelauffen/

Vnd Klag vnd Schein sucht zu finden.

Auff den sein Tod sey zu gründen.


6.

Als Jesus itzt vor sie geführet:

Fragt man: bist du der/ dem gebühret/

Wie Schrifft vnd Väter versprechen

Israels Bande zu brechen?


7.

Er sprach: beantwort' Ich die Fragen/

Würd Ich dieser Band auch entschlagen?

Red' Ich: wer ist der mich höre?

Frag Ich wer ist der mich lehre?
[126]

8.

Doch glaubt: Von nun an wird geschehen/

Daß ihr in dem Thron werdet sehen

Deß Menschen Sohn alle Heyden

Zur Rechten Gottes entscheiden.


9.

Sie ruffen erhitzt: Nun erkläre

Ob du Gottes Sohn? Ich bewehre

Spricht Christus/ daß ihr genennet

Dehn/ vor dehn Gott mich erkennet.


10.

Der Hauffe begönnt; ist von nöthen/

Mehr Zeug' vnd Beweiß Ihn zu tödten?

Habt ihr nicht all' itzt vernommen:

Wie hoch sein Lästern ankommen?


11.

Drauff wird Er/ als vnwehrt zu leben;

Dem Weltlichen Recht übergeben!

Den Todt für Jud' vnd für Heyden/

Durch beyder Vrtheil zu leiden.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 125-127.
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