12.

Barrabas wird vor Jesu frey gelassen

[132] Auff die Melodie: Vexilla Regis,


1.

O Blindes Volck; verkehrte Welt!

Der nur was schädlich wol gefällt!

Sie lässt das Leben! wählt den Tod!

Erlöst den Mörder! Creutzig't Gott!


2.

Pilatus zwar/ spricht mit bedacht:

Ihr habt den Menschen zu mir bracht/

Als einen der das Volck abwandt/

Sein Vnschuld aber ist erkandt.


3.

Ich/ ja Herodes! findet nicht

Worüber Recht ein Vrtheil spricht:

Wird Er gezüchtig't gleich zum schein/

So muß Er endlich frey doch seyn.


4.

Noch mehr! Das Osterfest bricht an:

An welchem man erretten kan

Nach altem Brauch/ ein schuldig Haupt/

Dem sonst kein Richter Gnad' erlaubt.


5.

Ihr selbst begehrt's/ vor dieses mal/

Stell ich die Sach' in eure Wahl.

Wolt ihr Barrabam machen loß/

Der nechst im Auffruhr Blut vergoß?


6.

Wo nicht? so schlag ich Jesum vor/

Auff welchen sich der Neyd verschwor/

Vmb daß Ihn der gemeine Tand

Auß Wahn/ der Juden König nannt.


7.

Weil er die Meynung noch vorbracht/

Entbot seyn Eh'weib ihm; Gib acht:

Vnd habe (wo wir wollen ruhn)

Mit dem Gerechten nichts zu thun!
[132]

8.

Ich habe nechst erblaste Nacht

Voll zittern schichternd durchgebracht/

Weil seiner wegen Ich erschreckt.

Auß vngeheurem Traum erweckt.


9.

Vmbsonst! Weil ihm das Volck zusetzt;

Durch die geweyhte Schaar verhetzt:

Drumb als er fragt/ schreyt klein vnd groß:

Nicht Jesum/ gibt Barrabam loß.


10.

Wie wird es denn vmb Jesum stehn?

Spricht er. Sie ruffen: Heis ihn gehn

Zum Tod vnd Creutz. Wie? fing er an;

Sagt denn/ warumb Er sterben kan.


11.

Sein Vnschuld bricht ja klar ans Licht/

Vnd stralt vor Kläger vnd Gericht!

Sie aber schreyn: Nur Creutz vnd Pein/

Nur Creutz vnd Tod sol vor Ihn seyn.


12.

Verblendet Volck! verkehrte Wahl!

Verlachte Freud! gewüntschte Qval!

Es hengt vns noch von Adam an/

Daß man so übel kiesen kan.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 132-133.
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