264. Die weiße Frau bei Nieder-Finow.329

[224] An der Nieder-Finowschen und Lieger Grenze hat sich früher oft eine weiße Frau sehen lassen, da wo die Schlucht von den Bergen an der Schmolitz (der Haide) hinunter nach der Lieger Wiese läuft, wo der große Kubben stand, in dem das Vieh getränkt wurde, weshalb man auch den Grund den Kubben nannte. Besonders haben sich die Fischer in Acht nehmen müssen, wenn sie des Nachts ihre Netze da auswarfen, denn sie hat ihnen oft dieselben, wie man von den Alten gehört, zerrissen. Jetzt freilich mit den Verwallungen ist Alles anders geworden, da können sie gar nicht mehr dahin, früher aber ging das Wasser bis an die Berge. Nun waren einst in alter Zeit ein paar Fischer des Nachts dort beschäftigt und der eine war schon ans Land gefahren, der andere aber noch nicht. Da sieht dieser – es war gerade Mondschein – die weiße Frau mit einem Körbchen am Arme die Schlucht herunterkommen, der andere aber nicht, denn das kann auch nicht Jeder. Schnell rief er es seinem Kameraden zu, damit er noch zeitig abstoße. Wie der das aber gethan, da ist die weiße Frau auch schon heran gewesen, und da haben sie deutlich gehört, wie sie dreimal in die Hände geklatscht. Wäre es ihnen nicht geglückt, noch vom Lande abzukommen, sie hätte ihnen alle Netze zerrissen.

Auch um Johannis läßt sich oft die weiße Frau sehen, und zwar zur Mittagsstunde; oft ist sie da früher zum Hirten gekommen, oder als eine große weiße Frau von der Schmolitz hinunter nach der Lieger Grenze gegangen. Manchmal hat man sie auch auf den Zacken der Bäume oben an der Schmolitz entlang laufen sehen, einst sah sie Einer so, doch sah sie ganz roth aus gegen die Sonne.

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Nach Pröhle a.a.O. S. 82.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 224.
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