326. Die Axt.395

[278] In der Johannisbergstraße zu Magdeburg befindet sich ein Hans, das von uralter Zeit her den Namen »die Axt« führt, weiterhin nach dem Knochenhauerufer liegt rechts, die Ecke bildend, das Gertrudenkloster und neben diesem stand ein Brauhaus, welches »die steinerne Bank« genannt wurde und vormals Eigenthum des oben genannten Klosters war. Nun trug es sich zu, daß einst der Brauer sich in seinen Kellern befand, um die Vorräthe, die er an Bier besaß, durchzugehen. Da hörte er auf einmal an dem einen Ende desselben ein Geräusch, als wenn sich Menschentritte näherten, und ein Geflüster von Stimmen, als wenn mehrere Personen sprechend vorübergingen. Er begab sich schnell an den Ort, wo er jenes Geräusch vernommen hatte, allein da er nichts mehr hörte oder sah, dachte er, er habe sich getäuscht und kehrte wieder nach oben zurück. Einige Tage später wiederholte sich eben dieselbe Erscheinung und als er diesmal den Ort näher untersuchte, sah er sogar aus einem Winkel des Kellers einen Lichtstrahl hervordringen, er folgte demselben und bemerkte durch eine Spalte im Gewölbe, daß Männer mit Fackeln in einem unterirdischen Gange neben dem Keller hin- und hergingen, welche er an der Bekleidung sofort als Mönche erkannte. Er hielt es für seine Schuldigkeit, sofort dem Erzbischof von seiner Wahrnehmung Meldung zu thun, allein statt Dank für die Anzeige erhielt er einen Verweis und wurde für einen Verleumder der Geistlichkeit erklärt. Er beschloß nun, das nächste Mal besser aufzupassen und womöglich durch Herbeirufung von Zeugen die Sache außer Zweifel zu stellen. Da er aber nicht reinen Mund über sein Vorhaben hielt, so kam dasselbe den Augustinermönchen, um die es sich nur handeln konnte, zu Ohren und eines Abends trat einer derselben in seine Wohnung und suchte ihn durch ein bedeutendes Geldgeschenk zu bestimmen, künftig von diesem unter dem Brauhause nach dem Gertrudenkloster führenden unterirdischen Gange nichts mehr wissen zu wollen. Der Brauer aber weigerte sich dasselbe anzunehmen, sondern erklärte vielmehr, daß es für ihn Ehrensache sei, dem Erzbischof zu beweisen, daß er die Wahrheit gesagt und die Mönche nicht verleumdet habe.

Allein schon am andern Tage mußte er erfahren, daß es nicht gut ist Alles zu sehen; es ward ihm ohne Weiteres von dem Klostervoigt der Dienst[278] gekündigt und ihm aufgegeben, binnen 8 Tagen seine Wohnung zu räumen. Alles Bitten half nichts, er mußte mit seiner Familie ausziehen und sah sich genöthigt, da Niemand mit einem vom Erzbischof Verbannten etwas zu thun haben wollte, sein Brod nunmehr blos mit seiner Hände Arbeit zu verdienen. Er baute sich also am Ufer der Elbe eine dürftige Hütte und lebte hier mehrere Jahre mühsam von Handarbeit und Fischerei. Da trug es sich zu, daß seine Tochter Bekanntschaft mit einem wohlhabenden jungen ausländischen Maler machte und derselbe sie mehrmals in dem Hause ihrer Eltern aufsuchte, ihr auch verschiedene für ihre Verhältnisse kostbare Geschenke machte, weil er sie ehelichen wollte. Allein plötzlich fand man eines Morgens den Maler in der Nähe jener Hütte ermordet und neben demselben eine Axt. Natürlich forschte man nach dem Mörder und als sich herausstellte, daß besagte Axt dem ehemaligen Klosterbrauer gehört habe, auch in der Hütte desselben sich verschiedene Kostbarkeiten vorfanden, die man früher bei dem Ermordeten gesehen, so zweifelte Niemand mehr daran, daß jener Letzteren erschlagen habe. Sein Betheuern, die Axt sei ihm entwendet worden und die Kostbarkeiten, die man bei ihm gefunden, gehörten seiner Tochter, die sie von dem Maler erhalten, halfen ihm nichts, denn er konnte seine Anführungen mit nichts beweisen; er ward, da er nicht bekennen wollte, auf die Folter gebracht und später auf dem nachher sogenannten Thränsberge hingerichtet. Von seiner Wittwe und Kindern nahm Niemand mehr Notiz, man sah sie bald nicht mehr; als man aber nach längerer Zeit darauf aufmerksam ward, wie es zugehe, daß die Hütte sich nicht mehr öffne und kein Rauch mehr aus dem Schornstein aufsteige, ließ man sie von Obrigkeitswegen aufbrechen und fand die ganze Familie todt in derselben auf dem Boden liegen. Da sich keine äußeren Verletzungen erkennen ließen, mußte man annehmen, daß sie aus Verzweiflung sich sämmtlich selbst durch Kohlendampf oder Gift aus der Welt geschafft hätten. Die Geistlichkeit benutzte jedoch dieses neue Unglück, sie sprengte aus, der Brauer und die Seinigen wären Zauberer gewesen und Gott habe sie deshalb gänzlich von der Erde vertilgt. Da nun auch umwohnende Fischer erzählten, sie hätten bei Nacht in der Nähe jener Hütte Spukgeister erblickt, so ließ der Erzbischof die Hütte niederreißen, die Leichen der in der Nähe derselben früher von dem Henker verscharrten Unglücklichen wieder ausgraben und fortschaffen und den Platz, wo die Hütte gestanden hatte, mit dem Klostergarten vereinigen. Indeß wurde auf die Stelle, wo die Mordthat verübt worden war, ein steinernes Kreuz gesetzt und die Mordaxt in dasselbe vermauert. So vergingen wohl hundert Jahre und kaum wußte noch Jemand die dunkele Sage zu erzählen, welche mit dem Kreuze zusammenhing. Da verbreitete sich auf einmal in der Stadt das Gerücht, in der Nacht des vergangenen Tages sei das steinerne Kreuz niedergerissen und zertrümmert und mit der darin vermauerten Axt ein neuer Mord verübt worden, denn unter einer nahe dabei stehenden Weide liege der Leichnam eines Erschlagenen, den allerdings Niemand kannte, und in den Stamm des Baumes sei die Axt eingehauen. Trotz aller Nachforschungen blieben auch hier wieder Mörder und Ermordeter unbekannt, die Leiche ward an der Stelle, wo sie gefunden worden war, begraben, der Platz selbst aber auf Befehl des Erzbischofs abgegrenzt und zu einer Art Kirchhof für Selbstmörder u. dgl. eingerichtet, an dessen nach der Stadt zu gelegenen Seite aber ein Grabgewölbe[279] erbaut und über demselben die alte verrostete verhängnißvolle Axt aufgehängt. Bald verbreitete sich jedoch das Gerücht, in der Nähe dieses Ortes sei es nicht geheuer, man höre um Mitternacht Wehklagen und Seufzen und so kam es, daß Niemand gern des Nachts in der Nähe desselben war. Mittlerweile erweiterte sich aber die Stadt immer mehr, so daß die Begräbnißhalle, über welcher die Axt hing, ganz nahe an den Häusern lag. Man beschloß also dieselbe abzubrechen und den Platz demjenigen zu geben, der an die Stelle jener Halle sich ein Haus bauen werde. Ob nun wohl die schaurige Sage fast vergessen war, so wollte sich doch Niemand finden, weil man immer den Platz selbst für einen Aufenthaltsort von Gespenstern ansah. Endlich unternahm es doch ein Zimmermann im Jahre 1351, weil er den Platz umsonst bekam, denselben zu bebauen; er riß die alte Halle nieder, allein weil er fand, daß die in dem Gestein eingemauerte Axt von dem Zahn der Zeit so gut wie nicht berührt war, so dachte er, es sei Schade, dieselbe wegzuwerfen, nahm sie im Gegentheil in Gebrauch und fing selbst an mit ihr das zum Bau nöthige Holz zu behauen. Umstände nöthigten ihn jedoch auf einige Tage zu verreisen, als er aber zurückkam, hörte er, daß während seiner Abreise sein bester Arbeiter mit derselben Axt von einem fremden Zimmermann auf dem Bau erschlagen worden sei. Wie früher blieb der Mörder unbestraft, er hatte sich gleich nach der That entfernt und war nicht wieder aufzufinden. Indessen ward der Bau selbst durch das Ereigniß unterbrochen und der neue Besitzer richtete sich nur nothdürftig ein Behältniß ein, wo er des Nachts bleiben und über sein am Platze befindliches Material wachen konnte. Da trug es sich zu, daß er eines Nachts durch Hilferuf aus dem Schlafe gerissen wurde; er trat aus dem noch nicht fertig gebauten Hausraume heraus und sah, wie ein einzelner Mann, ein Magdeburger Bürger, von vier Wegelagerern – es war nämlich gerade in diesem Jahre eine schlimme Fehde zwischen der Stadt und dem umwohnenden Landadel ausgebrochen – angegriffen ward und sich ihrer kaum erwehren konnte. Ohne sich zu besinnen griff der Zimmermann nach der ersten besten Waffe, die sich ihm darbot, und siehe, es war ihm eben nichts Anderes zur Hand als die Mordaxt. Mit dieser schlug er, der Ungeübte, ohne sich an die überlegene Zahl der Feinde zu kehren, um sich, und siehe, auf jeden Hieb stürzte einer der Räuber, so daß in Kurzem das Feld rein und der Fremde gerettet war. Erst als er wieder allein war, fiel ihm die alte grausige Sage von der Axt wieder ein, wie sie in jedem Jahrhundert ihre Opfer verlange und erst dann zu morden aufhören werde, wenn der Fluch, der auf ihr liege, gelöst sein werde. Dies könne aber nur dann erst geschehen, wenn ein junges bisher noch unbescholtenes Mädchen in thörichter Verblendung aus Geldgier oder Raublust eine andere schuldlose Jungfrau mit dieser Axt getödtet und dafür die gesetzliche Strafe des Raubmordes gelitten haben werde. Dann solle der Fluch, den ihr erster Besitzer, der unschuldig hingerichtete Brauherr, auf sie gelegt habe, gesühnt und dem Morden ein Ziel gesetzt sein.

Bald darauf ward das Haus fertig und die Axt abermals mit in das Haus gemauert, aber so, daß sie Niemand so leicht wieder herausreißen konnte. Davon bekam das Haus selbst den Namen »die Axt« und behielt ihn auch bis zum 10. Mai 1631, wo es bei der Eroberung der Stadt durch die Kaiserlichen zerstört ward. Bis dahin hatte auch das mordende Element[280] der Axt geruht, aber eine eigentliche Lösung des Fluchs erfuhr dieselbe, die freilich verschwunden war, erst hundert Jahre später, wo wirklich zu Magdeburg eine Jungfrau von einer anderen aus raubgieriger Absicht erschlagen ward, letztere aber dafür auch der strafenden Gerechtigkeit zum Opfer fiel.

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Nach Relßieg Bd. II. S. 435 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 278-281.
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