719. Jungfer Eli.835

[685] Vor einigen Hundert Jahren lebte in dem Münsterschen Stifte Freckenhorst eine Aebtissin, eine sehr fromme Frau, die hatte eine Haushälterin, Jungfer Eli genannt, die war böse und geizig, und wenn arme Leute kamen, ein Almosen zu erbitten, trieb sie dieselben mit der Peitsche fort und band die kleine Glocke vor der Thüre fest, daß die Armen nicht läuten konnten. Da ward Jungfer Eli eines Tages todtkrank; man rief den Pfarrer, sie zum Tode vorzubereiten, und als dieser durch den Baumgarten der Aebtissin ging, sah er Jungfer Eli in ihrem grünen Hütchen mit weißen Federn auf dem Apfelbaume sitzen; wie er aber in's Haus trat, lag sie auch wieder in ihrem Bette und war böse und gottlos wie immer, wollte nichts von Besserung hören, sondern drehte sich um nach der Wand, wenn ihr der Pfarrer zureden wollte, und so verschied sie. Sobald sie die Augen schloß, zersprang die Glocke und bald darauf fing sie an in der Abtei zu spuken. Als eines Tages die Mägde in der Küche saßen und Bohnen schnitten, fuhr sie mit Gebraus zwischen ihnen her, gerade wie sie es sonst bei ihren Lebzeiten gethan hatte, und schrie: »Schniet ju nich in de Finger, schniet ju nich in de Finger!« und gingen die Mägde zur Milch, so saß Jungfer Eli auf dem Stege und wollte sie nicht vorbeilassen, wenn sie aber riefen: »In Gottes Namen gaoh widerher!« mußte sie weichen und dann lief sie hinterher, zeigte ihnen eine schöne Torte und sprach: »Torte, Torte!« Wollten sie nun dieselbe nicht nehmen, so warf sie die Torte mit höllischem Gelächter auf die Erde und da war's ein Kuhfladen. Auch die Knechte sahen sie, wenn sie Holz haueten, da flog sie immer von einem Baumast im Wald zum andern. Nachts polterte sie im Hause herum, warf Töpfe und Schüsseln durcheinander und störte die Leute im Schlafe. Endlich erschien sie auch der Aebtissin auf dem Wege nach Warendorf, hielt die Pferde an und wollte in den Wagen hinein, die Aebtissin aber sprach: »Ich habe nichts zu schaffen mit Dir, hast Du übel gethan, so ist's nicht mein Wille gewesen!« Jungfer Eli[685] wollte sich aber nicht abweisen lassen. Da warf die Aebtissin einen Handschuh aus dem Wagen und befahl ihr, denselben wieder aufzuheben, und während sie sich bückte, trieb die Aebtissin den Fuhrmann an und sprach: »Fahr zu, so schnell Du kannst, wenn auch die Pferde darüber zu Grunde gehen!« So jagte der Fuhrmann und sie kamen glücklich nach Warendorf. Die Aebtissin, endlich des vielen Lärmens müde, berief alle Geistlichen der ganzen Gegend, die sollten Jungfer Eli verbannen. Die Geistlichen aber versammelten sich auf dem Herrenchor und fingen an das Gespenst zu citiren, allein sie wollte nicht erscheinen und eine Stimme rief: »Ha kikt, ha kikt!« Da sprach die Geistlichkeit: »Hier muß Jemand in der Kirche verborgen sein, der zulauscht«; sie suchten und fanden einen kleinen Knaben, der sich aus Neugierde darin versteckt hatte. Sobald der Knabe herausgejagt war, erschien Jungfer Eli und ward in die Dawert verbannt, wo eine Menge Geister umgehen und wohin alle Gespenster verwiesen werden. Alle Jahre einmal fährt nun noch, wie die Sage geht, Jungfer Eli über die Abtei zu Freckenhorst mit schrecklichem Gebrause und schlägt einige Fensterscheiben ein oder dergleichen, und alle Vierhochzeiten kommt sie wieder einen Hahnschritt näher.

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S. Grimm, Deutsche Sagen Bd. I. S. 184. Münsterische Geschichten S. 179 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 685-686.
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