806. Hexen nehmen die Gestalt lebender Personen an.927

[761] In einer Stadt in Westphalen wurden zu Anfange des 16. Jahrhunderts verschiedene Hexen verbrannt, allein dies half nichts, es wurden ihrer daselbst immer mehrere. Nun war aber ein Abenteurer in der Stadt anwesend, der wußte den Hexentanzplatz, ging zuweilen hin und merkte sich die Gesichter der Hexen und gab sie dann an. Unter andern Weibern zeigte der Bube dem Richter auch sein eigenes Weib als Hexe an und versprach, so er sie selbst beim Tanze sehen wolle, sei er bereit ihn zur bestimmten Zeit hinzuführen. Der Richter antwortete mit Ja und der Angeber bezeichnete ihm nun den Tag und den Abend, wann die Hexen zusammenkommen würden. Auf daß nun der Richter sein Weib überführen könnte, lud er an dem bewußten Abend etliche seiner Schwäger zu Gaste. Als dieselben bei Tische sitzen, kommt der Angeber und sagt dem Richter in's Ohr, es sei Zeit. Derselbe übergiebt nun seiner Frau die Gäste und heißt ihr alles Mögliche[761] zu ihrer Unterhaltung beizutragen, er habe jetzt an einem gewissen Orte zu thun und werde bald wieder da sein. Als er nun zum Hexentanze kommt, da sieht er unter Anderen auch sein Weib, die er doch daheim gelassen, mit umherschwänzen. Er geht also wieder nach Hause und fragt die Gäste, ob seine Frau immer bei ihnen gewesen sei. Dieselben bejahen es und sagen, sie sei auch nicht ein einziges Mal aufgestanden. Da bekennt er Alles und erzählt, wo er gewesen und was er gesehen, und da erst sieht er ein, daß, nachdem er so viele Hexen verurtheilt und hingerichtet habe, doch ihre sogenannten Zusammenkünfte nichts als Teufelsgespenst und Blendwerk gewesen seien.

927

S. Lercheimer, Bedenken von der Zauberei S. 123.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 761-762.
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