63. Die beiden Stadtmusikanten von Cölln.

[82] (Nach Weyden S. 193 etc.)


Einst zogen am zweiten Pfingsttage zwei Cöllnische Fiedler durch das Weiherthor um in einem Dorfe jenseits des Busches zum Tanze zu spielen. Sie zogen durch die grünenden Saaten dahin, durch den Wald, wo die Vögel lustig zwitscherten, aber von all der Herrlichkeit des schönen Frühlingstages ging ihnen ihr Herz doch nicht auf, sie dachten nur an den Gewinn, den ihnen ihr Spielen heute bringe. Natürlich hatten sie auch früh keine Messe besucht, dazu hatten sie ja keine Zeit gehabt. So kamen sie in das Dorf, und am Abend hatten sie manchen schönen Thaler in ihrem Seckel, allein sie dachten nicht daran, heimzugehen und ihr verdientes Geld ihrer darbenden Familie zu bringen, sie setzten sich, als der Tanz vorbei war, selbst in die Schenke, und fingen an zu zechen und zu spielen, allein wie gewonnen so zerronnen, die Würfel fielen ihnen nicht günstig und einige Stunden vor Mitternacht war Alles wieder fort, was sie am Tage verdient hatten, ja sie mußten dem Wirthe als Pfand noch einige Kleidungsstücke und ihre Querpfeifen lassen, denn Geld, ihre Zeche zu bezahlen, hatten sie nicht. So mußten sie denn sich auf den Heimweg machen, der ihnen freilich schwer genug ward, wenn sie an die Vorwürfe dachten, die ihrer zu Hause warteten. Sie waren kaum einige Schritte weit stumm und betrübt mit einander fortgewandert, da bemerkten sie, daß das Wetter sich geändert hatte, schwere Wolken ballten sich am Horizont zusammen, ein Gewitter zog herauf und bald war es so dunkel, daß nur noch hier und dort über den Himmel hinzuckende Blitze den Weg auf Augenblicke erhellten. Nichts destoweniger kamen sie vom Wege ab und als plötzlich wieder ein Blitz aufleuchtete, der den ganzen Wald in Flammen zu setzen schien, da sahen sie, daß sie sich vollständig verirrt hatten. Indeß gelang es ihnen nach langem Suchen doch wieder, die rechte Straße zu finden, allein mittlerweile war die Mitternacht herangekommen und sie begannen jetzt schneller zuzuschreiten um vor dem stark herabströmenden Regen ein Obdach zu finden. Da hörten sie Pferdehufschlag aus der Ferne und schnell kam ein Reiter auf hohem Roß herangeflogen, der sie bald eingeholt hatte und ihnen ein gebieterisches Halt zurief. Wie eine Schlange fuhr jetzt ein Blitzstrahl herab und bei dem Lichte desselben sahen sie, wie es schien, einen schwedischen Hauptmann vor sich, um dessen Schultern ein weiter rother Mantel flatterte und von dessen an der Seite aufgekrämptem Hute zwei rothe Hahnfedern herabnickten. Er selbst hatte fahle Züge und seinen Mund umspielte ein höhnisches Lachen, als er sie fragte, ob sie nicht Cöllner Musikanten seien und nicht Lust hätten sich heute noch ein gutes Stück Geld zu verdienen? Damit ließ er einen schweren Beutel mit Geld vor ihren Ohren klingen und dieser Ton flößte ihnen auf einmal Muth ein und sie meinten, wenn es nicht zu spät und zu weit sei, so wollten sie gern seinem Wunsche willfahren. Der Reiter aber sagte, »daß sein Schloß allerdings noch etwas entfernt sei, allein sein Rappe vermöge sie alle drei zu tragen, sie möchten nur getrost aufsitzen.« Mit diesen Worten reckte er seine Arme aus, packte sie und im Nu saß der Eine vor, der Andere hinter ihm. Er hielt sie mit mächtiger Faust fest, aber mochte es nun die Furcht sein, die Hand des Reiters kam ihnen eiskalt vor. Wie der Sturm brauste der Rappe durch[83] die schwarze Nacht dahin, und sonderbar, obwohl sie den Regen in Strömen über sich herabrauschen hörten, sie blieben ganz trocken. Endlich sahen sie auf einem Berge ein hohes, hell erleuchtetes Gebäude vor sich liegen, der Rappe jagte den Berg hinan und stand, laut wiehernd, an dem breiten Eingangsthore still. Im Nu setzte der Reiter seine Gefährten ab und führte sie durch eine zweite Halle in einen großen Saal, wo sie eine zahlreiche Gesellschaft von Männern, Frauen, Jünglingen, Mädchen und Kindern antrafen. Alle aber hatten leichenblasse Gesichter und steinerne Züge, ihre Augen waren ohne Glanz und Leben, und ihre Kleidung gehörte einem frühern Jahrhundert an. Kein Laut kam aus ihren bleichen Lippen. Wenn aber die düstern Gestalten in die Nähe der beiden Fiedler kamen, die sich ängstlich in eine Ecke des Saales gestellt hatten, machten sie ihnen Zeichen aufzuspielen. Die Musikanten stimmten ihre Instrumente und spielten einen lustigen Tanz auf und die Anwesenden drehten sich in buntem Gemisch untereinander gereiht lustig nach den muntern Weisen. Bald aber erlahmten ihre Arme und schon wollten sie eine Weile die Instrumente schweigen lassen, da trat der Reitersmann auf sie zu und schüttete seinen Beutel mit den glänzenden Geldstücken in ihre Mützen, die sie neben sich hingelegt hatten, und forderte sie auf fortzuspielen, und die Habsucht gab ihnen neue Kräfte und abermals geigten sie, aber noch wilder und schneller als zuvor, und die Tänzer jagten lautlos in rasendem Wirbel an ihnen vorüber und der Reiter munterte sie, wenn sie nachlassen wollten, immer wieder von Neuem auf fortzuspielen. Und es war, als wenn ihre Hände von selbst arbeiteten, an Takt war nicht mehr zu denken, aber auch die Tänzer hielten keine Ordnung mehr, sie ließen sich einander los und jedes tanzte für sich, die Kleider fielen ihnen von den Leibern, modernde Gerippe traten an die Stelle der alten und jungen Tänzer, zuletzt fielen die einzelnen Knochen derselben auseinander, Todtenschädel hüpften herum, Beine und Arme sprangen auf einander los und den Fiedlern fielen vor Schrecken die Geigen aus den Händen. Sie bekreuzten sich und plötzlich sahen sie sich, aus schwerem Traume erwacht, ihre Fiedeln neben sich und ihre Mützen voll stinkendem Pferdemist, unter dem Galgen zu Melaten. Seit diesem Tage aber mieden die beiden Fiedler Spiel und Trunk und wurden gottesfürchtige Leute, die nie wieder zu einem Tanze aufspielten, sie hätten denn zuvor eine Kirche besucht.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 82-84.
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