244. Das Jungferngrab bei Rauden.

[269] (S. Illustr. Familienjournal Bd. XI. Nr. 275.)


Jungferngrab heißt in der Nähe von Rauden ein tief im dunkelen Fichtenwalde versteckt liegender kleiner, von dürren Baumästen gebildeter Hügel, welchen in traulichem Vereine blaublumiges Immergrün und Brombeersträucher umwuchern und auf welchen herab im Frühjahre von hoher Fichte das Lied der Nachtigall klingt. Von diesem Hügel erzählt man sich dort in der Umgegend folgende Sage.

Vor vielen Jahren stand dort, wo jetzt sich das Dorf Barglowke befindet, ein einsames aber viel besuchtes Wirthshaus, in welchem sich allsonntäglich aus der ganzen Umgegend eine große Menge Volkes versammelte, alte gebückte Leute, um über frühere Zeiten mit einander zu schwatzen, und junge Burschen und flinke Bauermädchen, um nach dem Takte einer Fidel zu tanzen. So begab es sich denn auch einst bei einer derartigen Gelegenheit, daß von Rauden her mit seinem Schätzchen Margarethe ein junger stämmiger Bauer, Namens Peter, nach dem Kretscham hineilte um dort mit selbiger zu tanzen. Allein leider zog in die Herzen der hier versammelten Mädchen und Burschen tückischer Neid ein, jene ärgerten sich, daß sie nicht so schön waren als die Fremde, auf der alle Augen ihrer eigenen Verehrer gerichtet wurden, diese wieder gönnten das reizende Mädchen ihrem Bräutigam nicht und es wurmte sie, daß nicht sie ihr Herz erobert hatten. Ob nun gleich der Geige grelle Töne mit seltener Anstrengung in den Gemüthern den gewohnten[269] Frohsinn wieder aufzuwecken sich bemühten, so herrschte doch den ganzen Tag über in dem sonst so lauten Kreise eine gedrückte Stimmung.

Dies Alles hätte nun aber weiter nichts geschadet, wenn sich nicht unglücklicher Weise der Teufel in der Gestalt eines fremden, wunderhübschen rothbäckigen Burschen unter die Tanzenden gedrängt und die Raudnerin besonders oft zu einem hinreißenden Tanze aufgefordert hätte. Dieser Umstand verdroß jedoch in demselben Grade den Geliebten der gefeierten Schönen, als er die Schadenfreude der übrigen Tänzer gegen jenen erregte. Peter drängte seine Margarethe zum Heimgange, diese aber bat ihn noch zu bleiben. Peter bestand darum mit noch größerer Heftigkeit auf seinen Willen, Margarethe indessen wollte noch tanzen, weil der Versucher sie soeben zu einer neuen Tour aufgefordert hatte. Endlich nachdem der Tanz aufgehört hatte, schleppte der wüthende Peter seine hübsche Braut mit Gewalt fort und überhäufte sie unterwegs mit Vorwürfen. Als aber schließlich das Mädchen ungeduldig ward, überstieg Peters Jähzorn alle Grenzen, er faßte die Unglückliche, warf sie zu Boden und erwürgte sie trotz ihres Flehens.

In demselben Augenblicke jedoch, wo Margarethe ihr Leben aushauchte, durchdrang ein entsetzliches Hohngelächter die Lüfte, auf einem Besen reitend stürzte blitzschnell der Teufel auf den Mörder, umkrallte ihn mit seinen magern Klauen und zerrte ihn fort zur Hölle. Die todte Jungfrau hingegen ward nach einiger Zeit gefunden und unter Meßgesängen auf dem Raudner Kirchhofe begraben. Der Ort aber, wo dieses blutige Werk der Eifersucht verübt ward, ist bekannt geblieben bis auf den heutigen Tag und wenn Jemand vom Volke zufällig dieses Weges daherkommt, so verabsäumt er gewiß nicht ein grünes Fichtenzweiglein auf den kahlen Hügel zu werfen, ein Kreuz zu schlagen und ein kurzes Gebet zu sprechen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 269-270.
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