302. Das Loch in der Kirchthüre zu Kohlfurth.

[365] (S. Haupt, Sagenbuch der Lausitz. Th. II. S. 114.)


Vor hundert Jahren lebte in Kohlfurth ein Förster, welcher bis in sein hohes Alter ein leidenschaftlicher Jäger war. Damals gab es noch viel Wild in der Görlitzer Haide und er hatte hinreichende Gelegenheit, seine Jagdlust zu büßen. Als er aber alt geworden war, versagten ihm seine Beine den Dienst und er mußte es seinem Burschen überlassen, dem edlen Waidwerk in dem grünen Wald obzuliegen. Einstmals geschah es, daß er vom Zipperlein arg geplagt in seiner einsamen Stube mit großem Widerwillen saß und hörte, wie die Meute der Jagdhunde sich mit lautem Gebell dem Dorfe näherte. Da raffte er sich auf, langte die alte Büchse von der Wand und trat schußfertig vor sein Haus. Ein Edelhirsch, ein Sechszehnender, war es, der gefolgt von den Hunden sich in das Dorf flüchtete und um sich zu retten in der Todesangst mit hohem Sprunge über die Kirchhofsmauer setzte. Der alte Schütze rief die Hunde ab und näherte sich vorsichtig der Mauer. Da stand der Hirsch gerade vor der Kirchthüre. Der Förster legte an und schoß den Hirsch nieder, in solcher Nähe, daß die Kugel noch durch die starke, von eichenen Brettern zusammengefügte Kirchthüre fuhr. Dort ist das Loch noch heute zu sehen. Der Förster aber,[365] so wie er den Schuß gethan, brach wie der Hirsch zusammen und ward ohnmächtig in seine Wohnung zurückgetragen, wo er nach einigen Stunden den Geist aufgab.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 365-366.
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