618. Der Fischmeister zu Scharpau.

[590] (S. Curicke S. 142. Hennenberger S. 417 etc.)


In der Scharpau, einem Stücke des großen Werders bei Danzig, welches aber zur Nehrung gerechnet wird, ist sonst ein fester Hof gewesen, im Jahre 1400 erbaut, wo der Fischmeister oder Großschäfer von Marienburg gewohnt hat. Dort ist einst ein gewisser Willm von Tossenfeld Fischmeister gewesen, der 113 Jahre alt geworden ist. Der hat, weil der Störfang sehr gering war, seinen Fischerknechten beim Galgen verboten, keinen Stör zu zerhauen, sondern er wolle sie für ihren Antheil entschädigen. Die Fischer hatten nämlich die Erlaubniß, einen Mittelfisch zu zerhauen um denjenigen, so ihnen ein oder mehr Legel Bier brachten, auch einen guten Braten zu geben. Wie sie nun eines Tages wußten, daß solcher Gäste viele kommen würden, da rieth unter andern der Koch, daß man einen guten Fisch zerhauen und für die, so Bier brächten, braten solle, und es zerhieb also der Koch einen Hauptfisch von 5 Ellen, bereitete und kochte ihn und gab genug davon weg für Bier. Unterdessen, wie er nachmals etliche Fische nach der Scharpau dem Fischmeister brachte, klagte er sehr über der Fischerknechte Untreue und beschwerte sich, daß sie neulich ihn gezwungen hätten einen Fisch zu zerhauen. Ob dies nun wohl der Fischmeister besser wußte, ließ er es doch eine Zeit lang hinpassiren, weil er der Leute bedurfte. Als aber die Fischerei aus war und er die Fischerknechte ablohnen wollte, fragte er sie, ob sie auch sein Gebot gehalten hätten? Sie antworteten, sie hätten von ihrem Theil zu Zeiten gegessen und auch andern Leuten, so ihnen Bier verehrt, mitgetheilt, sagten auch daneben, sein Gebot wäre wider Gott und Recht und dürften sie solches deswegen nicht halten, es wäre auch nicht billig, daß sie ihr Recht verkauften, sintemal Gott ihnen ihren dritten Theil allezeit mitzutheilen pflege. Weil sie es nun frei bekannten, fragte er den Koch, wer den Fisch gerissen habe, und wie derselbe antwortete, daß er es gethan, fragte der Fischmeister weiter, ob er auch davon gegessen habe? Der Koch antwortete, er habe sich zwar des Diebstahls wider seinen Herrn nicht gern theilhaftig gemacht, hätte aber auch gegen die Fischerknechte sich nichts merken lassen dürfen und habe er wohl von der Juche (Suppe), aber nicht vom Fische gegessen. Da hielt ihm der Fischmeister vor, er habe ja vorgegeben, die Fischerknechte hätten ihn zum Fischreißen gezwungen. Als dies die Knechte hörten, wurden sie unwillig und sagten, er habe ihnen zum Fischreißen mehr zu- als abgerathen. Da fällte der Fischmeister das Urtheil, so sie den Suppenschmecker henken wollten, wolle er ihnen solches zulassen, wo nicht, solle er sie aufhängen. Da bedachten sich die Fischerknechte nicht lange, führten den Koch vor die Festung und hingen ihn am Graben bei einem Pappelbaume auf. Davon kommt das Sprichwort: »Der die Suppen aß, ward gehangen, die den Fisch aßen, sind ihrer Wege gegangen.«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 590-591.
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