918. Das graue Männchen.

[786] (S. Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 627.)


In der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind einmal unterschiedliche Boyneburgische Jäger an einem nassen Herbsttage auf dem Burgberge zusammengekommen und haben Schutz vor dem Regen in den Trümmern des alten Schlosses gesucht. Da fanden sie ein altes kleines graues Männlein mit schneeweißem Haare sinnend auf Moos und Steinen sitzen. Sie redeten es an, fragten es dies und das, aber das Männlein gab keine Antwort. Darüber wurden die Jäger böse und gaben dem Männlein einige Schläge, aber es verzog darob keine Miene, weder zum Lächeln noch zum Schmerz, sein Antlitz blieb still und kalt und sein Mund geschlossen. Da banden sie das Männlein mit Hundeleinen und führten es also gefesselt zu ihrem Herrn nach Reichensachsen, da sollte es, meinten sie, schon Rede und Antwort geben, allein es that dies hier eben so wenig wie droben. Es nickte nicht und schüttelte sich nicht, es öffnete nicht den Mund, es deutete auch keinen Wunsch an, rührte auch Speise und Trank nicht an, achtete keiner Freundlichkeit und keines Zürnens. Nun dachten die Herren, die Zeit werde es schon mürbe machen, sperrten es in ein wohlverwahrtes Gemach, ließen dieses zum Ueberfluß auch noch von außen bewachen, aber am andern Morgen (nach Andern geschah es erst nach drei Tagen) da war das Männlein verschwunden, hatte aber zum Andenken ein schmutziges Vergißmeinnicht, das nicht zum besten roch, auf dem Tische hinterlassen.

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Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 786.
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