1265. Der Mantel in der Bülderuper Kirche.

[1036] (Nach Rask's Mörskabsl. 1839 S. 507-508, bei Müllenhoff S. 66 etc.)


Westlich von Apenrade zwischen Tolsted und Bollersleben, auf dem Wege von Hadersleben nach Flensburg erstreckt sich ein Landrücken, der von Alters her Wornhöi oder Urnehöved heißt. Hier wurden einst die alten Schleswigschen Landtage unter freiem Himmel gehalten, wie die Holsteinschen zu Bornhövede. Man zeigt noch eine Anhöhe Lögpold, die frühere Dingstätte, ein Weg heißt Aielveien, der Adelsweg, ein anderer Platz heißt Staatsryggen, in Bollersleben ist eine Freihufe, deren Besitzer den hohen fürstlichen Personen, denen dort gehuldigt ward, Stallraum und Unterkommen gewähren mußte, die heißt noch heute das Königshaus. Nun war einmal hier ein König, der zwei Söhne hatte. Der älteste, der außer Landes war, kam erst nach dem Tode seines Vaters zu Hause an, fand inzwischen den Thron desselben im Besitz seines jüngern Bruders, es kam zwischen ihnen zum Streit, allein sie kamen überein, die Entscheidung dem ältesten Hardesvogt im Lande zu übertragen. Nun war damals Nis Hinrichsen auf Heistruphof Hardesvogt der Sluxharde, dieser bekam den Auftrag an einem bestimmten Tag das Urtheil zu sprechen. Da er nun aber einsah, daß, wie auch sein Spruch ausfallen werde, er sich immer einen der beiden Prinzen zum Feinde machen werde, so sann er darauf, wie er den schlimmen Folgen für sich entgehen könnte. Er hatte ein schönes milchweißes, nach Andern ein gelbes Pferd, welches er ein ganzes Jahr lang alle Tage mit Semmel und Milch fütterte und es dann ausführte, gleichzeitig aber so im Rennen und Springen übte, daß es von keinem andern darin übertroffen wurde. Er selbst kaufte sich aber einen großen dicken rothwollenen Mantel. Als nun der Tag des Things kam, hüllte er sich darein, setzte sich auf sein weißes Pferd und ritt an den bestimmten Ort, der eigens dazu mit Steinen bebrückt war, wie man noch jetzt sehen kann. Die beiden Prinzen, begleitet von ihren Anhängern, hielten schon da, nun kam der Landesvogt auf sie zu und rief mit lauter Stimme: »Des Landes Leute halten es mit dem Landeskinde!« Dann warf er sein Pferd herum und eilte nach Bollersleben zu. Die Reiter[1036] des ältern Prinzen eilten ihm nach und überschütteten ihn mit einem Hagel von Pfeilen, allein der Mantel blähte sich auf und schützte ihn. So kam er dem Dorfe nahe, wo mehrere Wagen im Wege standen und die Straße sperrten. Als die Bauern den Vogt mit seinem Pferde herankommen sahen, wollten sie ihm Platz machen, allein er litt es nicht, sondern setzte im Fluge darüber hin. So kam er seinen Verfolgern weit voraus und nahm seine Richtung nach dem großen, dichten Walde zu, der damals auf dem Gröngaarder Felde stand. Ein altes Weib eilte herbei und wollte ihm ein Heck öffnen, das den Weg verschloß, aber auch dieser rief er zu, sie solle es zulassen, und setzte auch darüber weg. So erreichte er den Wald, und hielt sich da so lange verborgen, bis er sich ungefährdet hervor- und nach Hause wagen durfte. Aus Dankbarkeit schenkte ihm aber der junge König für seinen Hof die Freiheiten, welche Heistruphof bis auf diesen Tag noch heute genießt. Sein großer Mantel, der ganz mit Pfeilen bespickt war, ward zum Andenken an seine glückliche Rettung in der Bülderuper Kirche aufgehängt, wo er eingepfarrt war. Dort hing er bis zum Jahre 1786, wo er ganz vermodert in Fetzen herabfiel. In der Kirche ist jedoch noch heute ein Gemälde, welches die Familie des Hardesvogtes gestiftet hat und sich hierauf bezieht.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1036-1037.
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