Liederquell

[35] Wie kommt's, daß mit dem Pfeil im Herzen

Im Schmerz ich sang der Liebe Lust?

Wie kommt's, daß nur von heitern Scherzen

Mir quillt die todeswunde Brust? –


Es segelt sanft auf Silberwogen

Im Schneegewand der stolze Schwan,

Gesanglos ist er lang gezogen

In stummer Lust die stille Bahn.


Im Morgenroth, im Mondenscheine

Die Fluth durchschifft' er frei – und schwieg;

Am Ufer blühten Rosenhaine,

Er segelte vorbei – und schwieg.


Jetzt, da der Pfeil sein Herz durchdrungen,

Da ihm der Tod im Busen glüht,

Was er in Wonne nie gesungen,

Er singt's in Schmerz: sein erstes Lied.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 35-36.
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Gedichte
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