2.

[188] Einst an jenem großen Tage,

Wenn wir treten allzumal

An des Ew'gen Hofgelage

In den offnen Himmelssaal:


Da wird bang manch Herz erzittern,

Scheu gesenkt sein manch ein Blick;

Doch dein Herz, das wird nicht zittern

Und nicht senken sich dein Blick.


Und dein Fuß, er wird nicht wanken,

Schreiten wirst du fest und grad,

Nicht wie Einer, der zu danken,

Nein, wie der zu fordern naht!


Wie im Fürstensaal der Arme

Stolzen Auges rings erblickt,

Daß mit seinem Schweiß und Harme

Sich die Majestät hier schmückt!
[188]

Wenn du zu des Ew'gen Füßen

Einen Blumenozean

Siehst in Farbenwogen sprießen,

Rufst du frei und kühn hinan:


»Herr, von diesen Rosen eine

War schon einst als Knospe mein!

Arm ward ich, seit sie die deine,

Du nicht reicher, seit sie dein!«


Eine Glorie siehst du wallen,

Die das Haupt des Ew'gen kränzt,

Aus den Morgenröthen allen,

Die der Erde je geglänzt.


Ohne Scheu wirst du nun fragen:

»Herr, vom Lichtkranz, der dich ziert,

Hätte meinen Erdentagen

Nicht wohl auch ein Strahl gebührt?«


Harfen schlagen Engelchöre

Um des Allgewalt'gen Thron,

Und du rufst mit einer Zähre,

Furchtlos, doch im Schmerzenton:


»Herr, es war zum Erdgeleite

Einer dieser Engel mein!

Du nahmst mir ihn von der Seite, –

Hergewankt bin ich allein!«


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 188-189.
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Gedichte
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