Poesie des Dampfes

[217] Ich höre Lieder, ehrenwerthe, klagen,

Seh' edle Angesichter sich verschleiern,

Prophetisch trauernd, daß in unsern Tagen

Der Prosa Weltreich seinen Sieg will feiern;


Daß Poesie, entsetzt, nun fliehen werde,

Auf schnurgerader Eisenbahn entjagen,

Entführt auf Dampffregatten unsrer Erde,

Auf Dampfkarossen ferne fortgetragen!


Ei, wart ihr denn so hold den krummen Wegen,

Daß ihr so sehr die graden scheuen könnet?

Und ist euch's Poesie, auf Holperstegen

Zu kriechen, wenn zu fliegen euch vergönnet?


So macht euch auf, wohlan, auf alten Gleisen

Der Poesie, der flücht'gen, nachzujagen,

Und knebelt mit Gebiß und Strang und Eisen

Das Roß, das edle freie, vor den Wagen!
[218]

Die Haid' entlang! Laßt eures Leibs Gebeine

Des Auferstehungstages Rütteln ahnen,

Der Rosse Schnauben, Peitschenknall und Steine

Im Staubgewölk euch der Verlornen mahnen!


Springt dort ins Boot, laßt rudern eure Rechte!

In saurem Schweiß den Schiffer laßt nicht zagen!

Ob eure Brüder euch, die Ruderknechte,

Von der verlornen Poesie nicht sagen?


Besteigt ein Schiff und fangt die Launenspende

Des wind'gen Windgotts auf im Segeltuche,

Als ob ein Bettler mit dem Hut behende

Des Wandrers milden Sold zu haschen suche!


Will er's, so ruht windstill mit schlaffem Segel,

Seid festgefroren in den Sommertagen!

Vielleicht daß Delphin euch und Seegevögel

Von jener, so ihr suchet, weiß zu sagen!


Ich will indeß hinab die Bahn des Rheines

Auf schwarzem Schwan, dem Dampfschiff, singend schwimmen,

Den Becher schwingend voll des goldnen Weines,

Dir, Menschengeist, den Siegeshymnus stimmen!


Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone

Herab vom stolzen Haupt hat reichen müssen,

Wie du dem Erdengeiste, seinem Sohne,

Das eh'rne Herz kühn aus der Brust gerissen;


Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten!

Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten möge,

Geh, Feuer du, und trage deine Lasten!

Leb', Eisen du, und wandle seine Wege!
[219]

Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise

Kein Blümchen im Poetenhain bedrängen,

So wie des Heil'genscheines Gluthenkreise

Kein Löckchen am Madonnenhaupt versengen.


Nein, Amt der Poesie in allen Tagen

Ist's, hoher Geist, dein Siegesfest verschönen,

Wie der Victoria Goldbild überm Wagen

Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen.


Schon seh' ich dort entlang des Gaues Straßen

Die dampfgetriebnen Wagenburgen fliegen,

Wie scheugewordne Elephantenmassen

Thürm' und Geschwader tragen fort zu Siegen;


Der schwarzen Rüssel Schlote hoch erhoben,

Dampfschnaubend, rollend wie die Wetterwolke!

Die Mannen, siegestrunken, jauchzend oben;

Weitum gelichtet alle Bahn vom Volke!


Wenn auch aus seinem alten Lindenfrieden

Den Patriarchen dort des Dorfs sie wecken,

Nicht schadets, wenn er, was der Geist beschieden,

Die Mütze lüftend, schaut mit freud'gem Schrecken;


Nicht schadet's, wenn er, was er dort sah tosen,

Des Geistes wandelnden Altar muß nennen;

Wenn er im Rauchkoloß, dem flücht'gen, losen,

Die Gluth, die ew'ge, die ihn zeugt, sieht brennen!


Und wenn er betend fleht, daß die Minerve,

Die jetzt des Volks olymp'schem Haupt entsprungen,

Nie gen den Vater die Geschosse werfe,

Nie sei von seiner Dränger Sold gedungen!
[220]

Und wenn er ahnt, daß sie in schönern Tagen,

Wofür er selbst einst feststand im Gefechte,

Dem Enkel werde zu ersiegen wagen

Ein glorreich Vaterland und heil'ge Rechte!


Laßt beten ihn, und ahnen so im Stillen,

Bis sich gesenkt vor uns des Dampfes Wolke,

Als heil'ger Tempelvorhang, zu verhüllen

Der Zukunft Schickungen dem jetz'gen Volke.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 217-221.
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