1.

[19] In meinen späten Tagen

Was treibst du, altes Herz?

Was will dein tolles Schlagen,

Dein wonnevoller Schmerz?


Der Maienthau, die Thränen,

Die du ins Aug' mir drängst?

Was will dieß Frühlingssehnen,

Da Herbst es worden längst?


Verstummt sind alle Lieder,

Die Wälder stehn entlaubt,

Schneeflocken rieseln nieder

Aufs Feld und auf mein Haupt.


Gewölke schwer und bleiern

Im kalten Luftrevier,

Das Thal in Nebelschleiern, –

Mein Herz, wie steht's in dir?
[19]

Die Sommerfäden wiegen

Zerrissen sich im Raum;

Mir ist als säh' ich fliegen

Von einst den eignen Traum.


Die Schwalben mußten wandern

Und all mein Hoffen auch,

Verblaßt ist mit dem andern

Mein Grün im Windeshauch.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 19-20.
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