4.

[88] Des schönsten Busens Form seh' ich bewahren

Dich, graue Lava, Aphroditens Becher!

Der Liebe Trank, den ew'gen, feuerklaren,

Schlürf' ich aus dir, ein durst'ger Liebeszecher!


Ich seh' die schönste von Pompeji's Frauen

Im Garten, der sich sonnig vor ihr breitet!

Wohl ist er schön und blüthenvoll zu schauen,

Doch schöner, üpp'ger blüht, die ihn durchschreitet.


Es hält Akanth und Bux als Wacht von Zwergen

In Haft Viol' und Ros' im grünen Erker;

Ihr Mieder doch mag als Gefangne bergen

Zwei schönre Röslein wohl in seinem Kerker.


Ich seh' als Silberschaft den Springquell steigen

Und ihn als Schnee millionenflockig fallen,

Gleich einer Trauerweid' aus Silberzweigen,

Doch schöner, weißer ihren Busen wallen!


Da sieht der Geist des Feuerbergs hernieder

Vom Flammenthron; ihn faßt die Macht der Liebe!

Bebt, wenn euch Götter hassen, Erdenbrüder,

Doch auch nicht minder bebt ob ihrer Liebe!
[89]

Schon eilt, daß ihn kein Späher überrasche,

Sein Mohrensklave, jene schwarze Wolke,

Mit einem Schleier – ach, von Staub und Asche! –

Der Liebe Haus zu hüllen vor dem Volke!


Schon muß dem Kuppler nach, daß er nicht weile,

Sein Sklavenvogt, der Sturm, jetzt brausend fahren;

Der peitscht mit Feuerruthen ihn zur Eile

Und zaust in seinen schwarzen, krausen Haaren!


Schon tobt herab der Herr die Bergestreppe,

Im Purpurmantel glüh'nder Laven wallend;

Vesuv als Page hält den Saum der Schleppe,

In ries'gem Bogen seinem Arm entfallend!


So ungestüm hetzt Jenen Liebeshitze,

Daß aus der Feuerkron' im Niederwallen

Ihm Diamanten: flammenhelle Blitze,

Granaten: glüh'nde Felsen taumelnd fallen!


Schon ist er da, die Arme ausgebreitet,

Die feur'gen, daß den süßen Leib er hasche!

Doch ab von seinem Herzen dieser gleitet,

Und knickt zur Erd' als eine Handvoll Asche.


Die Rosen sind verdorrt am Hochzeitfeste!

Die Quellen sind versiegt im Gartengrunde!

Nur in des Königsmantels Lava preßte

Sich ab des schönsten Busens volle Runde.


Da sprach der Gott: »Weib, deines Leibes Schöne

Verweh' nicht, Rosen gleich, im Kuß der Winde!

Sie soll entzücken noch die Enkelsöhne,

Stets leb' ein Zeuge, der sie ihnen künde!
[90]

Du graue Lava, sollst in Staub nicht fallen!

Als Lampe, schöngeformt, sollst du erhellen,

Glanzstrahlend, der Jahrtausend' Tempelhallen

Und voll des heil'gen Oels der Liebe quellen!


Als runde Opferschale sollst auf Erden

Der Liebe ew'gen Nektar du kredenzen,

Draus sich Jahrtausende berauschen werden,

Und deren Rand die spät'sten Rosen kränzen!«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 88-91.
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