Sechster Auftritt.


[117] Viscount Marishal tritt links ein und späht, ob die Loge leer ist. Später Lord Berwick und Lord Winchester. Zuletzt Lady Macclesfield.


VISCOUNT. Sie ist nicht hier – in ihrer Wohnung verleugnet sie sich, und ich muß sie sprechen. Ich komme atemlos von Paris, da hier ja saubere Geschichten vorgehen! Ein Sohn! Vielleicht ein Erbe ihres Vermögens? Wer kann den Gesetzen trauen, deren Ja oder Nein von der größern oder geringern Kunst der Advokaten abhängt. Ich muß selbst zugegen sein, um einen so gefährlichen Handel zu hintertreiben. Horcht nach der Öffnung ins Theater zu. Man gibt ein Stück von dem Menschen, für den sich ganz London fanatisiert! Lord Tyrconnel, sagt man, will ihn adoptieren – Ich bin so zerstreut, daß ich dem Zusammenhang des Machwerks kaum folgen kann. Wieder nach vorn. Sie sperrt sich zwar, ihn anzuerkennen, aber die Gesetze können sie dazu zwingen.


Die Lords Berwick und Winchester blicken und treten dann herein.


LORD BERWICK. Sie ist nicht hier – sieh da, Viscount Marishal.

LORD WINCHESTER. Viel Aufmerksamkeit für Ihren Neffen, daß Sie seinetwegen die Reise von Paris machen –

VISCOUNT. Mein Neffe hätte sich keinen abgeneigtern Kritiker verschreiben können als mich. Glaubt denn wahrhaftig schon die fashionable Welt an die Echtheit dieses Findlings?[117]

LORD WINCHESTER. Es ist ihr Sohn – da ist gar kein Zweifel.

LORD BERWICK. Und sie leidet schreckhaft darunter. Alle Welt zeigt mit Fingern auf sie, man überschüttet sie mit Pasquillen, die man ihr in ihr Haus schickt, überreicht ihr in den Gesellschaften Bonbondevisen, die Verse von ihrem Sohn enthalten, quält sie mit Spott, Verachtung, Zurücksetzung aller Art –

VISCOUNT. Das sieht dem Londoner vornehmen Pöbel ähnlich! Die Damen unserer Salons würden sich in ähnlicher Lage fast alle ebenso benehmen; nun, da eine andere das Bad aushalten muß, spielen sie die – Empfindsamen! Haben sich nicht auch schon die Geistlichen –

LORD WINCHESTER. Allerdings – Schon auf mancher Kanzel ist gegen die Lady gepredigt worden. Sie ist so fürchterlich in die Mode gekommen, daß vor ihrem Hotel – Gras wächst. Wir, die wir noch im stillen ihre guten Freunde sind, würden mit dem Bann belegt werden, erführe man, daß wir ihre Loge besucht hätten.


Lady Macclesfield tritt ein.


LORD BERWICK. Sie kommt schwerlich her – heute, wo das Stück ihres Sohnes gegeben wird, würde sie einen Aufstand befürchten müssen, erriete man sie hinter dem Vorhang da!

LADY. Guten Abend, meine Herren!


Die drei Edelleute fahren betroffen zurück.


LADY zum Viscount. Was seh' ich? Sie wieder in London? Ich hatte ja gehört, daß Sie in Paris an einer Stichwunde auf den Tod lägen?

VISCOUNT. Herzensstiche hab' ich. Und ich hört' auch, daß in London die Toten wieder auferstehen.

LORD BERWICK. Mylady, das heut' angesagte Stück ist nicht abgeändert –

LORD WINCHESTER. Sie wollten es wagen, sich den zudringlichen Blicken der Menge gerade heute –

LADY. Haben Sie einen bösen Traum gehabt, Mylord? So wie Sie sprach ja Cäsars Gemahlin, als ihr Gatte in die verhängnisvolle Senatssitzung ging. Was fürchten Sie denn, das heute meine Nerven so ganz ungewöhnlich angreifen würde? Nach dem Vorhang zeigend. Was spielen sie?

LORD BERWICK. Overbury.

LORD WINCHESTER. Trauerspiel –

VISCOUNT. In fünf Aufzügen, Mylady! Bedenken Sie die Folter. Erst ein Akt ist vorüber.

LADY. Von?


Die beiden Lords verlegen.
[118]

VISCOUNT beiseite erstaunt. Das muß ich sagen!

LADY. Von?

LORD BERWICK zögernd zu Winchester. Wer ist es doch?

LADY. Wissen nicht einmal den Namen des Verfassers? – Seit ich Ihnen geraten, seltener meine Schwelle zu betreten, glaubt' ich, daß Sie eifrig Literatur studierten –

LORD BERWICK verbindlich stotternd. Mylady, das Stück ist schlecht; es ringt ein hohles Pathos darin die Hände und – die trockenen Worte werden – wie ein Salat, mit nichts als Tränen angefeuchtet –

LADY. Eine vortreffliche Kritik –

LORD WINCHESTER. Es ist ein Dichter, der von der Poesie so etwas wegbekommen hat, wie ein durchs Gras laufender Pudel an seinen Ohren etwas vom Tau auffängt –

LADY. Noch besser. Nur schade, daß das der jetzt so gefeierte Shakespeare schon gesagt hat –

VISCOUNT. Es ist von Richard Savage –

LADY zu Lord Berwick. Ja, ja, Sie haben trotz Ihrer Zitate wenig Geschmack, Mylord, oder, was ich eher annehmen möchte, zuviel Galanterie. Sie wissen, daß ich mich nicht in den Klub habe aufnehmen lassen, den einige phantastische Närrinnen, die Herzogin von Sutherland an der Spitze, gestiftet haben, um für Shakespeare zu wirken – aber – Richard – Savage – sagten Sie nicht – scheint mir doch noch – der Erträglichste der neuen – Richtung. Seine Weise hat etwas Fieberhaftes, das ist wahr, eine gewisse ängstliche Hitze; aber treffen seine Bilder auch nicht immer das, wofür sie als Vergleichung dienen sollen, so führen sie uns doch in eine Welt ein, die recht schön wäre Mit einigem Gefühl. wenn man sie festhalten könnte. Zu Lord Berwick. Geben Sie mir Ihren Arm und bleiben Sie – beide, meine Herren! – an der Brüstung meiner Loge!

LORD BERWICK in großer Verlegenheit zögernd und plötzlich sehend, daß nur ein Stuhl an der Balustrade steht. Mylady, es ist nur ein Stuhl dort –! Ich komme sogleich zurück! Schnell ab.

LORD WINCHESTER. Wir müssen deren mehrere haben. Bin – sogleich – wieder – da –

VISCOUNT. Ha, ha, ha! Meine teure Schwägerin, auf welcher Mittagshöhe muß ich Ihre Sonne wiederfinden! Was die beiden Herren für Beine machten, als sie so glücklich sein sollten, Sie dem Ihnen so wohlgeneigten Parterre vorzustellen! Sie suchen Stühle und werden sich morgen, in der Abenddämmerung, daß sie ja nicht gesehen werden, durch ein Lied zur Zither unter Ihrem einsamen Fenster entschuldigen, daß sie keine hätten[119] finden können. Zum Teufel, was ist das für eine Geschichte mit Ihrem Sohn?

LADY sich mühsam beherrschend. Es ist mir lieb, daß sie fort sind – ich will allein sein. Sie besuchen mich morgen, lieber Schwager! Ich habe in Westmoreland Güter gekauft, ich hörte gern Ihre Meinung darüber; auch müssen Sie zu einigen neuen Pachtbriefen, die ich ausgestellt habe, Ihren Konsens geben – und auch einige bedeutende Posten sind eingezahlt, die ich nicht wieder unterzubringen weiß –

VISCOUNT. Da werd' ich schon helfen – Beiseite. sie hat's recht tüchtig weg! Zudringlich vertraut und halblaut. Aber sagen Sie mir, was ist das mit Ihrem –

LADY. Auch sind einige Verfügungen zu treffen wegen der Kohlengruben, die uns in Durham gehören – es ist ein unterirdisch Wasser in sie eingebrochen – und – die Bergleute –

VISCOUNT. Lassen Sie die graben! Bleiben wir auf der Oberwelt! Ich will hoffen, daß Sie in Ihrer hartnäckigen Verleugnung dieses Bastards Ihres ehemaligen Kapitäns von der schottischen Garde, des Grafen Rivers –

LADY. Unverschämter! Geht in den Hintergrund, setzt sich auf den Sessel, zieht den Vorhang zurück und blickt ins Theater hinaus.

VISCOUNT. Die Keckheit! Den Vorhang weit zurückgezogen! Auf den Zehen und hinausschauend. Aller Blicke auf sie gerichtet! Wären es Pfeile, sie wäre durchbohrt. Wie man sich anstößt, wie sie murmeln! Alle Gläser auf sie gerichtet! Dort zeigt schon einer mit dem Finger! Sie schwört ein Ungewitter herauf. Das gibt einen Aufstand! Ich ziehe mich zurück. Ab.


Hinter der Szene. Entfernt, aber deutlich vernehmbar.


MÄNNLICHE STIMME IM SCHAUSPIEL.

Du warst's, die ihn verdarb!

WEIBLICHE STIMME (MISS ELLEN.)

Ich?

MÄNNLICHE.

Deiner Liebe

Verdankt er dieses Übermaß der Triebe!

WEIBLICHE (MISS ELLEN.)

O schilt mir nicht die holden Blumenkränze,

Die ich um meines Sohnes Kindheit wand!

Wo gab es Blumen, gab es Freudentänze,

Als er im Wetter seines Schicksals stand?


Da er noch klein, wie konnt' ich wohl ihn strafen,

Wenn oft ich noch den Todesengel sah,

Wie der der Wiege kleinem Friedenshafen

Um einen Schwung der Sense stand so nah!
[120]

Und als er wuchs, da kann die Mutter warten!

Der Vogel fliegt hinaus zum Nest!

Ihr schon genug, wenn er von seinen Fahrten

Sie manchmal fromm und treulich grüßen läßt.


Die Mutterlieb' ist reich durch stetes Geben,

Sie ist schon glücklich, wenn sie weinen kann;

Dem Taue gleicht ihr sorgenvolles Leben –

Er setzt sich nur in kühlen Nächten an.


Sei ruhig! Laß das Herz Mariens zeugen,

Als an dem Kreuze all ihr Glück verdarb,


Lauter und beziehungsreich.


Und


Als zeigte sie auf die Lady.


jenen Marmorstein, in dessen Schweigen

Dem Griechen seine Niobe erstarb.


Ein Beifallssturm hinter der Szene.


LADY reißt den Vorhang zu und kommt mit leidenschaftlicher Aufregung in den Vordergrund. Ich halt' es nicht länger aus – diese Blicke töten mich –! Diese Fingerzeige, diese Schadenfreude, diese Verwünschungen an meinem Ohr, rechts, links, oben, unten – Gott, welch' gräßliches Schicksal ist über mich verhängt! Mein ganzes Dasein vergiften sie, meine Träume morden sie – schlafen, wachen – dieselbe peinigende Verzweiflung, die, ich mag sein, wo ich will, immer dicht an meiner Seite ist. Sohn – Mutter – Mutter – Sohn – in der Luft schon derselbe schauderhafte Refrain – es ist, als hätt' ich in die Sonne gesehen und müßte auf allem, wohin mein Auge gerichtet ist, grüne und blaue Flecke wahrnehmen, die ich nicht wieder verwischen kann, die durch alle Farben hindurchbrechen, als hätt' ich einen Mord begangen und könnte das Blut nicht von der Diele tilgen! – – Ich fühle nicht als Mutter für ihn – in meinem Herzen ist auch nicht die kleinste Stelle für ihn, nicht ein Winkel, wo man eine Wiege hinstellen könnte! Ich will die zärtlichste Geliebte, will die treueste Schwester, das gehorsamste Kind, will fromm, demütig, tugendhaft wie ein Engel sein – nur eine Mutter – und dieses Sohnes kann ich nicht werden! – Und hätt' ich ihn denn wirklich unter meinem Herzen getragen – wär' ich betrogen von denen, die ihn begraben haben wollten, begraben auch in mir – Natur, was bist du dann in mir so stumm –! Sprichst nicht mit Beredsamkeit zu meinem Herzen und lässest nirgend auch nur die kleinste Regung von Liebe das Muttermal sein, an dem ich ihn wiedererkennte? Briefe, Siegel, Ringe, alles soll für ihn sprechen und mein Herz nicht! – Nun vollends, da die Welt mich höhnen,[121] mir trotzen will? Draußen Klatschen und wildes Stampfen. Mögen sie meinen Namen durch den Kot der Straße schleifen, mögen sie mein Herz am Pranger der schwärzesten Verleumdungen mit glühenden Zangen quälen, mögen sie mit tausend vergifteten Dolchen auf mein armes verlassenes und vereinsamtes Dasein zücken – ich bin nicht seine Mutter; – Verzweiflungsvoll. ich kann es nicht sein – und wär' ich's – ihr Schatten einer unglücklichen Vergangenheit –! ich will's nicht sein. Heftig ab zur Rechten.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 117-122.
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Richard Savage, Sohn einer Mutter
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