Achter Auftritt.


[107] Der Erbprinz. Später die Prinzessin Wilhelmine.


ERBPRINZ allein. Land! Land! Nun wird sich operieren lassen. Einen Hotham zur Rechten, fehlt nur noch ein weiblicher Beistand zur Linken. Der Augenblick ist günstig. Ich versuche, die Sonnsfeld, die kleine Hofdame der Prinzessin, mit in die Verschwörung zu ziehen. Sie weilt hier im Vorzimmer. Ich klopfe. Geht leise an die Tür der Prinzessin und klopft. Ich höre Geräusch Klopft noch einmal. Das Rauschen eines Kleides – sie ist's – Er zieht sich etwas zurück und wendet sich dann. erst diese kleinen Vorposten gewonnen und dann an das Haupttreffen!

WILHELMINE tritt ein.

ERBPRINZ erschrickt. Ah, Sie selbst!

WILHELMINE. Sind Sie es, Erbprinz? Ich habe Ursache, recht erzürnt auf Sie zu sein.

ERBPRINZ. Auf mich? Hoheit, warum auf mich?

WILHELMINE. Als wenn Sie nicht wüßten, welche Beleidigung Sie mir zugefügt haben.

ERBPRINZ. Prinzessin, wollen Sie mich rasend machen? Nun noch eine Beleidigung gegen Sie?

WILHELMINE. Haben Sie nicht gehört, wer hinter Ihrem gelehrten Herrn Laharpe verborgen ist?

ERBPRINZ. Prinzessin! Laharpe ist ein höchst geistreicher, ein höchst witziger Kopf! In Berlin soll man lange suchen, bis man unter den hiesigen Gelehrten einen Mann von solcher Bildung findet.

WILHELMINE. Ein Perückenmacher ist's aus Orleans!

ERBPRINZ. Ich sag' Ihnen, Hoheit, es ist kein Perückenmacher! Wohl versteht er die Wissenschaften bis aufs Haar, wohl hat er die Schminke studiert, aber die Schminke eines eleganten Ausdrucks, er geht mit Puder um, ja, aber mit dem Puder geistreicher Sophistik, den man gewiß in Frankreich besser als hier in die Augen zu streuen versteht – schlimm genug, Hoheit, daß die Staaten Ihres königlichen Vaters so verrufen sind, daß Männer von Geist, Poesie und Witz vom Ausland hier nicht anders zugelassen werden, als wenn sie sich einen Paß als Perückenmacher geben lassen.

WILHELMINE. Aber unser Plan ist zerschlagen. Laharpe ist verwiesen –

ERBPRINZ. Ein schwacher Abglanz seines Geistes ist zurückgeblieben! Prinzessin, sehen Sie mich nicht für unwürdig an, seine Stelle zu vertreten. Lassen Sie mich das selige Gefühl[108] genießen, beigetragen zu haben, Sie den Fesseln einer Lage zu entreißen, die über alle Grenzen des schuldigen Gehorsams hinausgeht –

WILHELMINE. Prinz, welche Sprache!

ERBPRINZ. Die Sprache eines Gefühls, das sich nicht länger besänftigen, eines Unwillens, der sich nicht länger unterdrücken läßt. Prinzessin, wissen Sie, daß Sie bestimmt sind, das Opfer politisch- merkantilischer Kombinationen zu werden? Daß Sie bestimmt sind, gegen die Erzeugnisse der englischen Fabriken an England ausgewechselt zu werden?

WILHELMINE entrüstet. Wer sagt das?

ERBPRINZ. Fern sei es von mir, ein Urteil über Ihre Neigung haben zu wollen, fern sei es von mir, zu forschen, ob Ihr Ehrgeiz nicht vielleicht überrascht wird, wenn Sie hören, daß Sie selbst eine Kaiserkrone erringen könnten, aber – wenn Sie den Prinzen von Wales lieben –

WILHELMINE. Den Prinzen von Wales? Wer behauptet das?

ERBPRINZ. Ihre Mutter, die es ahnt, Ihr Vater, der es befiehlt.

WILHELMINE. Den Prinzen von Wales? Meinen Cousin, den ich nie gesehen habe? Einen Prinzen, der nie ein Interesse an mir verraten hat? Einen Prinzen, den ich seiner freien Bitten wegen verabscheue?

ERBPRINZ. Prinzessin, Sie lieben den Prinzen nicht?

WILHELMINE. Mein Herz ist frei. Keine Macht der Erde soll mich zwingen, es einem Manne zu geben, den ich nicht selbst gewählt.

ERBPRINZ. Hör' ich recht?

WILHELMINE. Ich war gehorsam von den ersten Regungen meines Bewußtseins an. Nie hab' ich einen Willen gehabt, nie gewagt, wenn ich einen hatte, ihn zu äußern. Aber wenn man mir das Einzige rauben will, was mir nach diesen ewigen Demütigungen als mein unantastbares Eigentum geblieben ist, die freie Wahl meines Herzens, dann ist die grundlose Tiefe meines Gehorsams erschöpft. Ich fühle, daß mein Bruder berechtigt war, sich von einem solchen Joch zu befreien, und ich werde der Welt zeigen, daß ich die Schwester dieses Bruders bin.

ERBPRINZ. Prinzessin! Beiseite. Was tu' ich – vor Wonne und Entzücken! Laut. Prinzessin, drüben die grünen Girlanden an dem kleinen Fenster, die Blumenstöcke sind ein so traulicher Versteck – der kleine Hänfling in dem Bauer wartet so ungeduldig auf die Ankunft seiner holdseligen freundlichen Herrin –

WILHELMINE entzieht sich seiner Hand. Sie – wollen –?

ERBPRINZ. Die Stelle eines verkannten verleumdeten Gelehrten[109] vertreten und dort unter vier Augen, nicht beängstigt von diesen Fußtritten in den Korridoren, von diesen grausamen Trommeln in der Ferne. Wächtern Ihrer Freiheit, der liebenswürdigsten Fürstin Europas sagen –

WILHELMINE. Sie haben mir nichts, gar nichts zu sagen –

ERBPRINZ wirft sich ihr zu Füßen. Prinzessin, daß es einen Fürsten gibt, der dereinst zwar nur über einen kleinen Fleck deutscher Erde zu gebieten hat, dem aber der Zauber Ihrer Schönheit, die Güte Ihres Herzens den Mut gibt zu sagen: Ich liebe Sie, ich bete Sie an!

WILHELMINE. Prinz, was beginnen Sie? Stehen Sie auf, ich höre kommen –

ERBPRINZ. Nicht eher, als bis Sie mir sagen: Ich komme –

WILHELMINE. Wenn man uns überraschte, stehen Sie auf!

ERBPRINZ. Werden Sie kommen?

WILHELMINE. Wohin denn? Der Erbprinz zeigt links ans Fenster. Dort? Auch dort bin ich nicht ohne Zeugen.

ERBPRINZ. Aber es sind Menschen, die sich in ihrer Armut glücklich fühlen, daß eine Fürstin eine Stunde bei ihnen verweilt! Prinzessin, ich habe Ihnen viel, sehr viel zu sagen, über die englischen und österreichischen Pläne, die man mit Ihnen hat; Sie müssen es mir im Stil von Versailles, den ich gründlich kenne, wiedersagen, daß Sie mich hassen, mich verabscheuen –

WILHELMINE. Prinz, Sie foltern mich. Ich höre Stimmen – man nähert sich, stehen Sie auf –

ERBPRINZ. Werden Sie kommen?

WILHELMINE. Grausamer! – Sie stehen nicht auf?

ERBPRINZ. Nicht eher, als bis Sie sagen: Ich komme –

WILHELMINE. Wenn Sie mir versprechen, nur von den Plänen, die man mit mir hat, und – von der Grammatik zu reden –

ERBPRINZ springt auf. Sie werden kommen? Bei allen Sternen des Himmels schwör' ich Ihnen, mit dem Verbum j'aime, ich liebe, zu beginnen, und Sie sollen sehen, daß gegen die Sprache, die ein liebendes Herz redet, gegen die Kunst, die in der ungeschminkten Natur liegt, selbst Voltaire – nur ein Perückenmacher ist. Ab.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 107-110.
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