Fragmente aus Eusebio's Antwort

[44] – Gestalt hat nur für uns, was wir überschauen können; von dieser Zeit aber sind wir umpfangen, wie Embryonen von dem Leibe der Mutter, was können wir also von ihr Bedeutendes sagen? Wir sehen einzelne Symptome, hören Einen Pulsschlag des Jahrhunderts, und wollen daraus schließen, es sey erkrankt. Eben diese uns bedenklich scheinenden Anzeigen gehören vielleicht zu der individuellen Gesundheit dieser Zeit. Jede Individualität aber ist ein Abgrund von Abweichungen, eine Nacht, die nur sparsam von dem Licht allgemeiner Begriffe erleuchtet wird. Darum Freund! weil wir nur wenige Züge von dem unermeßlichen Teppich sehen, an welchem der Erdgeist die Zeiten hindurch webt, darum laß uns bescheiden seyn. Es gibt eine Ergebung, in der allein Seligkeit und Vollkommenheit und Friede ist, eine Art der Betrachtung, welche ich Auflösung im Göttlichen nennen möchte; dahin zu kommen laß uns trachten, und nicht klagen um die Schicksale des Universums. Damit du aber deutlicher siehst, was ich damit meine, so sende ich dir hiermit einige Bücher über die Religion der Hindu. Die Wunder uralter Weisheit, in geheimnißvollen Symbolen[45] niedergelegt, werden dein Gemüth berühren, es wird Augenblicke geben, in welchen du dich entkleidet fühlst von dieser persönlichen Einzelheit und Armuth, und wieder hingegeben dem großen Ganzen; wo du es mehr als nur denkst, daß alles was jetzt Sonne und Mond ist, und Blume und Edelstein, und Äther und Meer, ein Einziges ist, ein Heiliges, das in seinen Tiefen ruht ohne Aufhören, selig in sich selbst, sich selbst ewig umpfangend, ohne Wunsch nach dem Thun und Leiden der Zweiheit, die seine Oberfläche bewegt. In solchen Augenblicken, wo wir uns nicht mehr besinnen können, weil das, was das einzle und irrdische Bewustseyn weckt, dem äußern Sinn verschwunden ist unter der Herrschaft der Betrachtung de Innern; in solchen Augenblicken versteh' ich den Tod, der Religion Geheimniß, das Opfer des Sohnes und der Liebe unendliches Sehnen. Ist es nicht ein Winken der Natur, aus der Einzelheit in die gemeinschaftliche Allheit zurück zu kehren, zu lassen das getheilte Leben, in welchem die Wesen Etwas für sich seyn wollen und doch nicht können? Ich erblicke die rechte Verdammniß in dem selbstsüchtigen Stolz, der nicht ruhen konnte in dem Schooß des Ewigen, sondern ihn verlassend seine Armuth und Blöße decken wollte mit der Mannigfaltigkeit der Gestalten, und Baum wurde und Stein und Metall und Thier und der begehrliche Mensch.

Ja, auch das o Freund! was sie alle nicht ohne Murren und Zweifeln betrachten mögen; das trübere[46] Alter, ich verstehe seinen höheren Sinn jetzt. Entwicklen soll sich im Lauf der Jahre das persönliche Leben, sich ergötzen im für sich seyn, seinen Triumpf feiern in der Blüthe der Jugend; aber absterben sollen wir im Alter dieser Einzelheit, darum schwinden die Sinne, bleicher wird das Gedächtniß, schwächer die Begierde, und des Daseyns fröhlicher Muth trübt sich in Ahndungen der nahen Auflösung. – Es sind die äußeren Sinne, die uns mannigfaltige Grade unsers Gegensatzes mit der fremden Welt deutlich machen, wenn aber die Scheidewand der Persönlichkeit zerfällt, mögen sie immerhin erlöschen; denn es bedarf des Auges nicht, unser Inneres und was mit ihm Eins ist zu schauen; auch ohne Ohr können wir die Melodie des ewigen Geistes vernehmen; und das Gedächtniß ist für die Vergangenheit, es ist das Organ des Wissens von uns selbst im Wechsel der Zeiten. Wo aber nicht Zeit ist, nicht Vergangnes noch Künftiges, sondern ewige Gegenwart, da bedarfs der Erinnerung nicht. Was uns also abstirbt im Alter ist die Vollkommenheit unsers Verhältnisses zur Aussenwelt; abgelebt mögen also die wohl im Alter zu nennen seyn, die von nichts wusten als diesem Verhältniß. – So fürchte ich höhere Jahre nicht, und der Tod ist mir willkommen; und zu dieser Ruhe der Betrachtung in allen Dingen zu gelangen, sey das Ziel unseres Strebens. – Deutlich liegt deine Bahn vor mir, Geliebtester! denn erkannt habe ich dich vom ersten[47] Augenblick unserer Annäherung, die, das Bewußtseyn wird mir immer bleiben, von Gott gefügt war; nie habe ich so das Angesicht eines Menschen zum erstenmal angesehen, nie solch Gefühl bei einer menschlichen Stimme gehabt; und dies Göttliche und Nothwendige ist mir immer geblieben im Gedanken an dich; und so weis ich auch was nothwendig ist in dir und für dich, und wie du ganz solltest leben in der Natur, der Pöesie und einer göttlichen Weisheit. Ich weiß, daß es dir nicht geziemt dir so ängstliche Studien vorzuschreiben. Die großen Kunstmeister der Vorwelt sind freilich da, um gelesen und verstanden zu werden, aber, wenn von Kunst-Schulen die Frage ist, so sage ich, sie sind da gewesen jene Meister, eben deswegen sollen sie nicht noch einmal wiedergeboren werden; die unendliche Natur will sich stets neu offenbaren in der unendlichen Zeit. In der Fülle der Jahrhunderte ist Brahma oftmals erschienen, aber in immer neuen Verwandlungen; dieselbe Gestalt hat er nie wieder gewählt. So thue und dichte doch Jeder das wozu er berufen ist, wozu der Geist ihn treibt, und versage sich keinen Gesang als den mißklingenden. Doch zag' ich im Ernste nicht für dich, die sterbende Kraft wird den, welchen sie bewohnt, nicht ruhen lassen; es wird ihm oft wehe und bange werden ums Herz, bis die neugeborne Idee gestillet hat des Gebährens Schmerz und Sehnsucht.

Gestern lebte ich ein paar selige Stunden recht[48] über der Erde, ich hatte einen Berg erstiegen, an dessen Umgebungen jede Spur menschlichen Anbaus zu Zweck und Nutzen verschwand; es ward mir wohl und heiter. Zwei herrliche Reiher schwebend über mir badeten ihre sorgenfreie Brust in blauer Himmelsluft. Ach! wer doch auch schon so dem Himmel angehörte, dachte ich da; und klein schien mir alles Irrdische. In solchen Augenblicken behält nur das Ewige Werth, der schaffende Genius und das heilige Gemüth; da dacht' ich dein, wie immer, wenn die Natur mich berührt; oft gab ich dem Flusse, wenn der Sonne letzte Strahlen ihn erhellen, Gedanken an dich mit, als würden seine Wellen sie zu dir tragen und dein Haupt umspielen. Leb wohl, in meinen besten Stunden bin ich stets bei dir. –

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 2, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 44-49.
Lizenz:
Kategorien: