[Wo erfrag ich den Freund]

Wo erfrag ich den Freund, wo find ich, was ich verlohren,

Sage es Morgenroth mir, wo mein Geliebter verweilt!

Weihet der Priester den Schleier, der den, dich mir o Lieber vereinigt,

Hält ein fremdes Gesez stets dich entfernet von mir?

Aber der Morgen verstumt, verschlungen vom glühenden Tage;

Abendroth, sage es mir, freundlicher milderer Schein!

Aber es färbt sich die Wange des Abendroths blässer und blässer,

Und es streuet auf mich wehmutsvoll perlenden Thau hin.

Frag ich die Sterne, sie schweigen, verglimmen leise im Osten,

Aber der Morgen kehrt wieder, und wieder erröthet der Abend,

Und der ewige Kreis führet die Sterne zurük.[67]

Kehret der Morgen einst wieder, dann möge der Mittag

Gierig schlingen den Morgen, und über mir grüssen die Sterne

Mich verschlinge die Nacht, bis jenseits des Dunkels

Wieder der Liebe Ton goldner Morgen entsprießt.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 3, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 65-68.
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