Auf den Tod seiner geliebten Flavie

[3] Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, so sie gefällt, muß mich auch selber tödten.

Die Schönheit und ihr Kind, mein Leben, sinckt ins Grab,

Das meine Lust vergräbt. Was mir der Himmel gab,

Nimm jezt die Erde hin. Der Zierrath aller Wälder,

Der Ausbund aller Treu, macht der Elyser Felder

Durch seinen Tod beglückt. Die ewig schwarze Nacht

Verhüllt mein Sonnenlicht. Was mir das Leben bracht,

Geht zu den Todten hin. Der Augen holden Sterne

Verlieren Glanz und Schein. Die Schale liegt vom Kerne

Zusamt den Schlacken hier, und der beredte Mund

Macht durch ein stummes Wort die lezte Rede kund.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie betrift, muß mich auch selber tödten.

Die Ohnmacht hängt mir zu. Der Parzen Urthelstab

Reißt meiner Flavie den Schönheitspurpur ab.

Die Äcker fühlen es. Die Zierligkeit der Blätter

Verläst den dürren Stamm, wie wenn ein Donnerwetter

Die grünen Äste theilt. Es seufzen Feld und Wald,

Da ein gebrochen Wort in seinen Thälern schallt

Und ihren Tod beklagt. In den bestürzten Flüßen

Sieht man der Nymphen Schaar die Thränen häufig gießen.

Die Hügel stehn gebückt, die hohlen Gründe schreyn:

Geht meine Flavie, geht mein Vergnügen ein.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, so sie gerührt, muß mich auch selber tödten.

Die Pallas und das Volck der Schäfer grämen sich

Um ihre Schäferin, die sie so inniglich,

So ungemein geliebt, da die zerstreuten Hirten

Die Lenden mit Napell, den Leib mit Jammer gürthen.

Das angenehme Vieh der Schaafe liegt gestreckt,

Ihr Blöcken, das dich ruft, doch aber nicht erweckt,[3]

Betäubet fast mein Ohr. Ich selber bin verlaßen,

Ich kan vor Kummer kaum mich und mein Herze faßen,

Dem nun das Herze fehlt. Wenn meine Sehnsucht ruft:

Wo bistu, Flavie?, so hört es nur die Gruft.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, so sie gefällt, muß mich auch selber tödten.

Zuvor versorgte Schaar, nunmehr verwaistes Vieh,

Betrübten Lämmer, klagt; mein Engel wird euch nie,

So wie zuvor geschehn, an jenen Silberbächen

Des Hungers Macht mit Klee, den Durst mit Waßer brechen

Noch, wenn der Tag sich kühlt, der Berge Schatten wächst

Und eure Müdigkeit nach ihren Ställen lechst,

Euch mit gefüllter Hand das Abendfutter reichen.

Kommt, lieben Schaafe, kommt, verlast die wilden Eichen,

Wo Schröcken und Gefahr sich mit den Wölfen paart;

Ihr seyd bey mir so gut als irgendwo verwahrt.

Ich will euch günstig seyn, ich will euch immer lieben,

In meine Hürden thun, zu meiner Heerde schieben.

Ihr sollt fast jeden Tag auf frische Triften gehn,

In Blumen, Graß und Klee bis an die Bäuche stehn.

Geht jezo, wo ihr wollt, der Weide zu genießen,

Doch hütet euch, daß ihr nicht mit den bloßen Füßen

Den werthen Berg entehrt, das Heiligthum entweiht,

Wo meiner Liebsten Gruft mir auch mein Sterben dräut.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie entseelt, muß mich auch selber tödten.

Betrübtes Heiligthum und du bemooster Berg,

Wo meine Flavie, der Schönheit Wunderwerck,

In todte Thäler steigt, auf deinen Angstgebürgen

Wird Kummer, Angst und Leid mich endlich noch erwürgen

Und in die Erde ziehn. Dein grünes Sommerkleid

Mehrt meine Hofnung nicht; des Todes Bitterkeit

Vergällt mir alle Lust. Bey diesem Leichensteine,

Der meiner Flavien geliebteste Gebeine

Bedeckt, doch nicht beschwert, vergeht mein Paradies.[4]

Die, so im Leben schon mein ander Leben hies,

Zieht endlich einen Theil von meiner treuen Seele

Mit der Beständigkeit in ihre Grabeshöhle,

Die meinen Schmerzen weis und meinen Kummer kennt,

Die meine Klagen zwar gerecht und zärtlich nennt,

Nicht aber widerlegt. Bringt Blumen und Violen,

Last Narden und Jasmin aus fremden Ländern holen,

Salbt den erblasten Leib, beräuchert Gruft und Sarg

Mit Ambra und Zibeth, ja, zieht das beste Marck

Aus Perlen, Gold und Stein, belebt die kalten Glieder

Mit warmen Mumien, vielleicht erwacht sie wieder.

Doch wer im Tode schläft, der schläft nicht eher aus,

Bis ihn der Himmel weckt und sich das Sternenhaus

Zu seinem Bette naht. Ach widriges Geschicke!

Denckt mein betrübter Sinn an die beliebten Blicke,

Die ich vor kurzer Zeit – Schweig, die Erinnerung

Der Lust vermehrt die Last. Drum sey es auch genung

Bedacht, doch nicht beklagt, beweint, doch nicht vergeßen.

Man darf die Trübsahl nicht nach vielen Thränen meßen,

Weil oft das gröste Leid mit trocknen Dingen weint,

Ja, oft ein Donner kommt, wenn gleich die Sonne scheint

Und sich kein Regen regt. Doch ihr geweihten Hügel,

Wo meine Klagen selbst der Morgenröthe Flügel

Und Hesperus beklagt, straft meinen Vorsaz nicht,

Der seiner Flavie die lezte Treu verspricht,

Sich nun und nimmermehr von hinnen zu entfernen,

Von dieser Gruft zu gehn, bis ihn der Rath der Sternen

Zu seinem Sterne bringt, der nun verklärter strahlt

Und in der Ewigkeit die Sternenzimmer mahlt.

Du meines Lebens Tod und du mein todtes Leben,

Erblaste Flavie, mein Sinn bleibt dir ergeben,

Mein Wille dir geschenckt, mein Wollen zugethan;

Ach, daß ich's, wie ich will, nicht gut besingen kan,

Nicht recht beschreiben darf. Es soll gleichwohl indeßen

Dein Grabmahl, deine Gruft, von Lorbeern und Cypreßen

Erhöht und lustig stehn. Ein jährlich Trauerfest

(Wer weis, ob mich der Tod gar lange trauern läst!)[5]

Soll dir gewidmet seyn. Ein Kranz von Myrthenzweigen,

Den viele Tropfen Blut statt der Rubinen beugen,

Soll um den morschen Schlaf ein traurig Merckmahl ziehn,

Daß diese Blätter noch wie meine Liebe blühn,

Wie meine Treu bestehn, wie meine Flammen dauren.

Vielleichte rühret sich (der Wein kann nicht versauren,

Den uns die Hofnung schenckt,) der aufgescharrte Sand

Und macht den Todten auch mein Opferlied bekand.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie betäubt, muß mich auch selber tödten.

Der Kindheit Morgen warf den Zunder in die Brust,

Der nach und nach entglamm; die erste Liebeslust

War Spiel und Dockenwerck. Ich war dir schon gewogen,

Als aus den Wangen noch kein Haar die Milch gesogen.

Wir waren schwach und klein, die Liebe starck und groß

Und größer als wir selbst. Oft trug uns eine Schoos,

Oft führt' uns eine Hand, noch öfter das Verlangen.

Wie öfters hat uns nicht ein kindliches Umfangen

Die Armen schwer und blau wie selbsten laß gemacht!

Uns nahm die Wärterin, wir unsre Lust in Acht.

Wir spielten in der Zeit, wir scherzten mit den Jahren,

Sie aber auch mit uns. Ach Schmerz, den ich erfahren,

Der mir nun Schmerz gebiehrt! Auch unser Unverstand

Verstand die Liebe schon. Ein doppelt Wiegenband

Verknüpfte mich und sie. Wo sind dieselben Tage?

Vergänglichkeit und Tod erörtert diese Frage

Durch einen Todtenkopf. Ach Antwort ohne Wort,

Obgleich nicht ohne Mund! Höchstangenehmer Ort,

Höchstangenehmes Feld, wo meine Heerde gieng

Und meine Ziegenschaar an jenen Klippen hing,

Wo ich und Flavie das schöne Lustgefilde

Bewundert und beschaut, wie von dem frechen Wilde

Die Wälder zitterten, wenn Erd und Luft erklang,

Da meine Flavie in diese Flöthe sang.

Hier trieben wir die Zucht der Lämmer oft zusammen,

Dort sah ein Ulmenbaum die unentweihten Flammen,[6]

Hier warf der müde Schlaf mein Haupt ihr in die Schoos,

Dort riß der Sommer uns die Oberkleider los.

In diesem jungen Heu vermieden wir das Schwizen,

Bey dieser Buche schlug ein unerhörtes Blizen

Dir den Melampus todt, hier hub sich unser Bund

Mit unsrer Jugend an, hier ward mein Leib verwundt

Und auch dein Geist betrübt, als mir der Fuß entglitten;

Hier half die Dämmerung mir deinen Sinn erbitten,

Daß du den Hirtenstab an einen Baum gelehnt,

Die Tasche abgeschält und dich mit mir gewöhnt,

Auch ohne Federn uns ein Lager aufzubetten,

Auf dem die Glieder Ruh, die Kräfte Stärckung hätten.

Oft sah der Morgen uns und unsrer Liebe zu,

Oft gab der Abend uns und unsrer Liebe Ruh.

Bald überlegten wir die überlebten Zeiten,

Bald die zukünftigen, auf die wir uns schon freuten.

Bald schwazten wir uns viel von Hochzeitmachen vor,

Bald von Beständigkeit; bald hielt dein kluges Ohr

An meiner Poesie, bald lechste mein Verlangen

Nach deiner Gegenwart, die, wenn du mir entgangen,

Den satten Schaafen wohl, mir aber bange that.

Wer aber schaft vorjezt dem bloßen Wüntschen Rath?

Die Zeiten sind entwischt, die Stunden sind verstrichen

Und meine Flavie zwar mit der Zeit entwichen,

Doch nicht zur Wiederkunft. Das ganz verstimmte Rohr

Und der gedämpfte Thon bringt lauter Klagen vor.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie entrückt, muß mich auch selber tödten.

Der Rosen Scharlach färbt die rothen Wangen bleich,

Die Lilgen fallen hin, die Steine werden weich,

Narcißus selber stirbt, es starret sein Gesichte,

Das ich zuvor erhizt. Die wohlgestalte Fichte

Zieht Kopf und Gipfel ein, der Hyacinth verdirbt,

Da kaum ein halbes Ach! mit seiner Zunge stirbt.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie entführt, muß mich auch selber tödten.[7]

Welch Schröcken, welche Pein, welch ungestümer Nord

Reißt mein Vergnügen ein, reißt meine Hofnung fort,

Die ferner nichts mehr hoft? Der Vögel süßes Singen

Wird meiner Flavie kein Morgenlied mehr bringen.

Der Sonne selber graut. Die werthe Nachtigall

Besinget meinen Schmerz, beweinet deinen Fall,

Mit dem mein Ancker fällt. Die Lüfte werden trübe,

Weil sie der Untergang von meiner keuschen Liebe

Mit Wolcken überdeckt, mit Nebel überzieht

Und in der Blüthe schon mein Wohlergehn verblüht.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, so sie verlezt, muß mich auch selber tödten.

Klagt, lieben Vögel, klagt, weint, Blumen, Feld und Vieh,

Schreyt, Hirten, Berg und Thal, weil ihr der Tod zu früh

Und mir zu langsam kommt. Mein bangsames Gewinsel

Vermehlet sich mit euch. Wer schaft mir Kiel und Pinsel,

Der meinen Schmerzen mahlt, der meine Sehnsucht trift,

Die ohne den Kompaß und ohne Leitstern schift,

Die ohne – doch was soll ein großes Wortgepränge?

Dem Schmerzen ist mein Herz und mir die Welt zu enge.

Ich muß, doch aber nein. Ich werde, aber was?

Ich kan, doch wie? Ich mag, wodurch? Ich will das Graß,

Ach wollen, wenn man muß, mit Blut und Thränen nezen,

Mich als ein lebend Grab zu deinem Grabe sezen,

Wo mein Gelücke schläft, wo mein Betrübnüß wacht

Und meiner Liebsten Sarg die Erde fruchtbahr macht.

Hier soll ein Thränenbach auf die Gebeine schwimmen,

In deren Asche noch die zarten Funken glimmen.

Hier soll mein Herze selbst dein bester Leichenstein,

Die Überschrift von Blut: Hier liegt mein Leben, seyn.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie erwürgt, muß mich auch selber tödten.

Kan, schöne Flavie, dein felsenharter Sinn

Auch ohne seinen Freund aus diesem Leben ziehn?

Darf, sag ich noch einmahl, dein voriges Vergnügen,[8]

Jezt dein Verlaßener, nicht in den Armen liegen,

Die nun der Tod umarmt? Du weist, ich war bereit,

Mit dir, Geliebteste, des Leibes Einigkeit

Und der Gemüther Band in jener Welt zu suchen;

Ich suchte diesen Tod und muß den Schluß verfluchen,

Der mir das Leben schenckt, der mich zu Tode quält.

Ach, daß uns nicht ein Sarg wie vor ein Sinn vermehlt!

Kan, ohne dich zu sehn, dem Auge was gefallen,

Da sich dein Auge schleust? Kan ohne Furcht zu lallen

Des Mundes naße Pflicht bey deiner Baare thun,

Was ihm zu thun gebührt? Kan noch mein Schenckel ruhn,

Da mir dein Fuß entwischt? Die blumenvollen Wiesen,

Die ich zuvor gelobt, die ich zuvor gepriesen,

Sind mir jezund verhast. Der edelste Geruch

Riecht mir nach Überdruß. Das allerbeste Buch,

Das meiner Seelen mehr als Zuckerbrodt gewesen,

Läst mich den Leichentext aus allen Zeilen lesen:

Mein Wohlseyn ist mit ihr und sie mit ihm vorbey.

Was Wunder, wenn sich mir dein todtes Conterfey

An allen Blättern weist, die sich vom Stamme rißen

Und also uns versagt, den Schatten zu genießen,

So daß noch jeder Ast der Liebe Bildnüß trägt,

Das mir das Herze so wie ihn der Wind bewegt.


Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöthen,

Der Schlag, der sie entrückt, muß mich auch selber tödten.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 3-9.
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