Ode an seine harte Schöne

[183] O geh nur, harter Sinn, begieb dich außer Landes,

Fleuch an das Eußerste des kalten Cymberstrandes,

Fleuch hin, wo Sonn und Tag des Jahres einmahl wacht,

Du solt mich folgen sehn, und wenn mich Frost und Klagen

Vor deiner Thür erstickt, mit schwerem Herzen sagen:

Das hätt ich nicht gedacht.


Allein, verstocktes Herz, das läst sich leicht gedencken,

Du hörest Tag und Nacht mein ungewöhnlich Kräncken,

Du siehst mich schwach und blos vor Haus und Fenster stehn,

Der Nordwind pfeift ums Dach und heulet in den Linden,

Ich lieg auf Eiß und Schnee, die mehr als du empfinden

Und selbst vor Leid zergehn.


Ach, grausam schönes Kind, ach las den Hochmuth fahren,

Die Lieb ist Stolzen gram und stürzt sie mit den Jahren,

Es ist noch kurze Zeit, so wendet sich das Blat;

Du folgst Penelopen, ja, folg ihr auch am Stande,

Die wegen seiner Höh und ihres Ehherrn Schande

Zu halten Ursach hat.


Denn ob gleich, gutes Kind, die Klug- und Schönheitsgaben

Der Mutter aller Welt dein Herz bereichert haben,

Obgleich kein heißes Flehn dies Herz in Feßel bringt,

Obgleich dein Angesicht im ersten Lenze grünet

Und Kunst und Wißenschaft, so treu sie dich bedienet,

Nur tauben Ohren singt:


So spotte darum nicht, du solt es näher geben,

Es bleibt nicht immer so, ich will es wohl erleben,

Daß Iris, die jezt lacht, sich selber strafen soll;

Wie manche ward vor dir von Freyern hochgepriesen!

Jezt macht ihr Schimpf den Korb, mit dem sie viel verwiesen,

An Flederwischen voll.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 183-184.
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