Bey der Wiederkunft der Nacht auf den 2. April

[204] 1720. in Lauban


Ach, kan Natur und Jahr dich ja nicht ganz vermißen,

So schleich doch unvermerckt, du sonst beliebte Nacht,

Und las mich jezt nur nichts von Lust und Schweidniz wißen,

Bis daß ein beßrer Stern die Ankunft froher macht.


Ich bin ja nicht geschickt, dich würdig zu empfangen,

Ich kan dir nicht mit Wein wie sonst entgegen gehn;

Du siehst den Tempel an, er ist mit Flor umhangen,

Und vor den Perlenschmuck gesalzne Thränen stehn.


Ich kenne dein Verdienst so gut als meine Pflichten,

Du hast mir auf der Welt den grösten Wuntsch erfüllt,

Und da fast alles schwur, den Anschlag zu zernichten,

Mit Leonorens Gunst viel süße Furcht gestillt.


Der Sieg, den Höchstädt gab, gebahr viel Jubelpsalmen,

Doch dacht ich, als mein Flehn die Schönheit überwand:

Eugen und Marlborough, behaltet eure Palmen,

Die Liebe wirft sie mir viel reicher in die Hand.


Die Beute, so euch schmückt, ist oft verbannte Wahre,

Der Lorbeer und der Ruhm mit Blut und Zorn befleckt;

Ihr rühmt des Friedens Frucht, ja warthet wenig Jahre,

Wer weis, wie bald der Wurm in ihrer Blüthe steckt!


Mir flicht die Ehrligkeit die immer grünen Kränze,

Die Wollust kluger Treu ist über allen Werth,

Der frische Myrthenzweig, in dem ich heute glänze,

Verlacht den Bliz, der oft in eure Lorbeern fährt.


Die Hofnung triumphiert auf Leonorens Küßen,

Wozu der volle Mund bequeme Lippen trägt,

Von nun an ist sie mein und wird's auch bleiben müßen,

So lange sich noch Blut in beider Adern regt.
[205]

Die Ferne zeigt mir schon mein Paradies auf Erden,

Und ob es gleich mein Fleiß noch sieben Jahr verschiebt,

So sollen diese doch zu einzeln Tagen werden;

Was fällt wohl einem schwer, der solche Rahel liebt?


Sie wird mir auch entfernt die Sorgen leichter machen,

Ihr Bildnüß wird ein Trost zu Kunst und Weißheit seyn,

Und wenn Vernunft und Sinn bey klugen Schriften wachen,

Den Geistern und der Lust viel Nahrungssaft verleihn.


Gelang ich auch hernach zum vorgesteckten Ziele,

So wird mein süßer Lohn in ihrem Schooße ruhn;

Da soll die Zärtligkeit von unserm Liebesspiele

Der Jugend Blumen streun, dem Alter gütlich thun.


Schau, seegensvolle Nacht, wie viel du mir gewonnen;

Doch glaube dies dabey, du kommst mich hoch zu stehn.

Was hab ich nicht geseufzt, gedichtet und gesonnen,

Wie ofters must ich nicht zu Bette wachen gehn!


Und durft ich auch darum nicht erst Philister schlagen,

Noch dies mein goldnes Vlies von Drachenglut befreyn,

Ich muste dennoch wohl viel schwere Streiche wagen;

Wer kennt, was Lieben ist, der weis auch deßen Pein.


Was ist es nicht vor Qual, drey Vierthel Jahr zu schweigen,

Wenn Gegenwart und Wort die stumme Lieb erhizt,

Wie viel bedarf es Kunst, die Flammen recht zu zeigen,

Was fühlt man, wenn das Kind dem andern näher sizt!


Jedoch ein Augenblick macht aller Müh vergeßen;

Ja, seegensvolle Nacht, dies that dein Augenblick,

Ich kan das süße Wort nicht oft genug ermeßen:

Behalt, mein Kind, das Herz, ich will es nicht zurück.


O seegensvolle Nacht, nun zieh ich dir zu Ehren

Den Mond der Sonne vor, so blaß er immer scheint;[206]

Dein Schatten müße nichts von Mord und Schröcken hören,

Und was gebohren wird, das sey dem Glück vereint!


Dein helles Abendroth begleit' ein froher Morgen,

Dein Thau sey Engelbrodt, dein Einfluß Fruchtbarkeit;

Es schände dich kein Geiz mit ungerechten Sorgen,

Dein Denckmahl dringe sich durch aller Zeiten Zeit!


Dein freundlicher April sey Herr von seines gleichen!

Verliebte, zehlt von ihm des Jahres Circkellauf!

Er las ihm Herbst und Lenz Geschmack und Farben reichen

Und thu dem Nahmen nach des Jahres Vorrath auf!


Nach jener, die vordem das Licht der Welt gegeben,

Bist du mir allemahl die schönste Finsternüß;

O warum fing ich doch in dir nicht an zu leben!

Es war ein kurzer Raum, der diesen Wuntsch zerriß.


Ich feyre Jahr vor Jahr in dir das Fest des Bundes

Und opfre, was und wie Gelübd und Recht versprach,

Mit Bechern auf das Heil des allerliebsten Mundes,

Aus dem das freye Ja mit keuschem Zittern brach.


Nur heuer weis ich dich nicht würdig zu empfangen,

Hier, wo ich Fremdling bin und Noth Calender macht;

Das Glücke sündigt nur, nicht aber mein Verlangen,

Drum schleich nur unvermerckt, du sonst beliebte Nacht!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 204-207.
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