Als die Phillis zu Waszer verreisen wollte

[265] Du hast mich klug genug probiert

Und kennst, mein Kind, mein zärtlich Lieben;

So scharf du mich herum geführt,

So fest ist Wuntsch und Treu verblieben,

Da nichts als Phillis in der Welt

Mir noch die Sterbenslust vergällt.


Aus dieser süßen Redligkeit

Entspringt nunmehr mein traurig Wesen;

Du fühlst ja wohl mein zitternd Leid

Und kanst es aus der Stirne lesen.

Was macht es? Dein verwegner Schritt,

Der hurtig an das Ufer tritt.


Dein Abschied lockt dich auf das Meer;

Ich dörfte dich bald thöricht nennen.

Wo nimmstu das Vertrauen her?

Du must das Waßer noch nicht kennen;

Ach, hat man dir noch nicht erzehlt,

Was Hero vor ein Grab gewehlt?


Die Trennung thut mir freylich weh,

Doch fürcht ich mehr um deinetwegen.

Was wird dir nicht die wilde See

Vor Eckel, Schmerz und Angst erregen,

Wenn Wetter, Sturm und Bliz und Nacht

Compaß und Mast zu Schanden macht!


Geh in dich, allerliebster Schaz,

Und untersuche dein Gewißen;

Hier ist der Rache Richterplaz,

Hier muß der kleinste Meineid büßen.

Wer weis, wie oft auch meine Treu

Von dir bisher beleidigt sey!
[266]

Ist aber ja kein Halten mehr,

So seegle mit geneigten Winden!

Der Himmel giebt auch mir Gehör,

Du wirst den Hafen glücklich finden;

Doch, Engel, denck auch stets an den,

Den Stern und Ufer warthen sehn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 265-267.
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