Der Seelen Unsterbligkeit

[9] Seele, wirf den Kummer hin,

Deiner Hoheit nachzudencken,

Und las dir den freyen Sinn

Durch des Leibes Last nicht kräncken;

Diese Bürde, so man trägt,

Wird in kurzem abgelegt.


Die Gefangenschaft vergeht,

Stahl und Feßel müßen brechen;

Unsers Lebens Alphabet

Ist ja noch wohl auszusprechen,

Macht doch auch die ganze Zeit

Keinen Punct der Ewigkeit.


Sclaven werden endlich frey

Und der Kercker aufgebrochen,

Wenn des Todes Tyranney

Ihren Feinden Hohn gesprochen;

Ja, der längste Richterstab

Reichet selten bis ins Grab.


Heiden mögen mit der Gruft

Ihren Hofnungsport verschließen

Und, wenn das Verhängnüß ruft,

Thränen vor Verdruß vergießen,

Weil sie dieser Wahn betriegt,

Daß der Geist zugleich verfliegt.


Unser Glaube bricht die Bahn

Durch den Kirchhof in das Leben.

Wer die Welt nicht grüßen kan,

Lernt ihr zeitlich Abschied geben;

Denn er glaubet, daß der Geist

Sich der Sterbligkeit entreißt.
[10]

Nun wohlan, ich bin bereit,

Meine Glieder hinzulegen;

Denn des Todes Bitterkeit

Führet uns auf Dornenwegen

In des Himmels Rosenfeld,

Wo die Wollust Tafel hält.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 9-11.
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