Die Begierde nach dem Himmel

[11] Fort, o Seele, von der Welt,

Las das Lazareth der Erden!

Wem ihr Fürnüß wohlgefällt,

Mag durch Schaden klüger werden,

Gott und Himmel soll allein

Meiner Sinnen Leitstern sein.


In Egypten herrscht man nicht,

Gosens Apfel schmeckt zu bitter;

Ihre Blumen, so man bricht,

Sind ein Blendwerck der Gemüther,

Bis man dort in Canaan

Rosenerndte halten kan.


Unsers Lebens Wanderschaft

Giebt das Bürgerrecht im Himmel;

Wer sich an der Welt vergaft,

Kriegt vor Körner Staub und Schimmel;

Alle Hoheit dieser Zeit

Ist ein Bild der Eitelkeit.


Schifer werden auf der See

Von den Stürmen umgetrieben,

Bis die Zeit ihr langes Weh

Durch den Nordstern aufgerieben;

Dies, was uns bestürmen will,

Ist ein Leiden ohne Ziel.


Seufzer sind der theure Zoll,

Welchen wir der Erde geben,

Unser Krug ist selten voll,

Disteln list man von den Reben,

Thränen mischen unsern Tranck,

Dornen pflastern uns den Gang.
[12]

Das Vergnügen bringt Verdruß,

Aus der Wollust sproßt der Schmerzen.

Öfters kan der Überfluß

Uns die Freudensaat verscherzen,

Wenn des Feindes gelber Neid

Unkraut auf den Acker streut.


Perlen, die wie Lügen blühn,

Sind der Speichel wilder Fluthen.

Last den blizenden Rubin

Auf der Fürsten Scheitel bluten,

Ihre Würde zeiget doch

Des gecrönten Knechtes Joch.


Meine Sehnsucht brennt vor Lust,

Brief und Abschied einzufodern,

Und die schmerzensvolle Brust

Wüntscht im Grabe zu vermodern;

Denn die niemahls schlafen gehn,

Können niemahls auferstehn.


Auf, bestürzter Geist, zu Gott,

Der crönt dich mit Salems Schäzen;

Jesus selbst will durch den Tod

Deiner Last den Gränzstein sezen.

Gieb dem, was dich traurig macht,

Nun auf ewig gute Nacht!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 11-13.
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