Er klaget gegen seinen Freund

[127] O las dich doch nur nicht die kleine Müh verdrießen;

Die Zeilen, so von mir durch deine Feder fließen,

Verhindern den Begrif der allzuschweren Noth.

Sonst kan ich doch nichts thun als Klagelieder schreiben,

Und sonsten stillt mich auch kein ander Zeitvertreiben,

Es wäre denn der Tod.


Ich bin schon reif dazu, sowohl an Creuz als Jahren,

Und kaum der zehnte Greiß kan so viel Müh erfahren,

Als mir schon um den Lenz des Lebens Haß gebiehrt.

Ich leugne nicht die Schuld der oft verdienten Schläge;

Jedoch wo lebt ein Mensch, den auf dem Tugendwege

Nicht Fleisch und Blut verführt?


Ein jeder, heist's, vermag sein Glücke selbst zu machen;

Wer Welt und Ursprung kennt, der wird des Sprichworts lachen.

Die Ordnung der Natur sezt jedem Maas und Zeit,

Sie lenckt Gemüth und Herz so wie Verstand und Wollen

Und macht, wenn Glück und Fall das Schauspiel ändern sollen,

Der Sitten Unterscheid.


Drum, Thoren, hört doch auf, mein Leben zu verhöhnen;

Ich such an mir ja nicht die Fehler zu beschönen,

Sie bleiben, was sie sind, an allen wie an mir.

Nur dies verlangt mein Herz: Ihr sollt nicht spöttisch richten

Und über meinen Schmerz ein höhnisch Liedchen dichten;

Ich bin ein Mensch wie ihr.


Mein Hofen hat nunmehr nicht einen Funcken Zunder,

Und was mich retten soll, das braucht kein schlechtes Wunder;

Hier ist kein Weg zur Flucht, es sey denn aus der Welt.

Wer noch was ändern kann, der mag die Großmuth nüzen;

Sind Arm und Hände weg, den Cörper zu beschüzen,

So gilt nunmehr kein Held.
[128]

Ich weiche vor der Last der eußersten Beschwerden

Und müh mich auch nicht mehr um Mittel los zu werden,

Indem ich wie ein Schif mir selbst gefehrlich bin.

So wirft ein Steuermann, weil Mast und Ancker springet

Und Salz und Schaum bereits durch tausend Spalten dringet,

Compaß und Hofnung hin.


Verübelt mir mein Freund die Zagheit blöder Sinnen,

So such er einen Trost, mein Herze zu gewinnen;

Die Unruh, so es fühlt, ist fast nicht auszustehn.

Ich wäre seiner Kunst ich weis nicht was verbunden,

Beredt er mich nur dies von diesen bösen Stunden:

Sie werden auch vergehn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 127-129.
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