[229] So bin ich nun, du höchstes Wesen,
Schon wieder meiner Schulden frey.
Ach, las auch aus den Wercken lesen,
Daß meine Buße kräftig sey,
Und zwinge durch geheime Kraft
Die Unart wilder Leidenschaft.
Du läst dich gern und willig bitten
Und hörst mit Lust das Abba schreyn;
Ach, richte Wandel, Wuntsch und Sitten
Nach deiner weisen Absicht ein.
An Tugend gieb mir Überfluß,
An Nothdurft, was man haben muß.
Du hast mir die Vernunft gegeben,
Erleuchte sie durch Geist und Wort
Und führe meinen Fuß im Leben
Durch Glück und Unglück sicher fort,
Damit er nicht durch Thal und Höh
Mit Lust die breite Straße geh.
Du kennst mein Herz, es ist bescheiden
Und liebet die Zufriedenheit,
Es kan des Nechsten Fehler leiden,
Es dient ihm auch nach Mögligkeit;
Die Schwachheit hängt ihm freylich an –
Wo lebt ein ganz gerechter Mann?
Hilf du nur mir mich selbst bezwingen
Und reiß mich mit Gewalt zu dir,
Las, was mir gut ist, wohl gelingen;
Vergeh ich mich, so wincke mir,
Und bringt auch dieses keine Frucht,
So nimm die Ruthe deiner Zucht.
[230]
Las Heucheley und Aberglauben
Mir niemahls den Verstand verdrehn,
Ein redlich Herze von den Tauben,
Von Schlangenwiz die List zu sehn,
Womit die ungerechte Welt
Dem Frömmsten Nez und Angel stellt.
Bekehre meinen Feind mit Güte
Und las mir keine Rachgier zu;
Halt Leib und Sinnen und Gemüthe
Gesund, bey Kräften und in Ruh
Und beuth mir mein bescheiden Theil
Vor guten Fleiß und Arbeit feil.
Gefällt es deinen Vorsichtsschlüßen,
So gieb mir einen treuen Freund,
Der alles, doch auch mit Gewißen,
Mit mir wie mit sich selber meint
Und, wenn sich Leid und Freude regt,
Die Hälfte mit Vergnügung trägt.
So will ich dir mit treuem Herzen
Die ganze Lebenszeit vertraun
Und als ein Christ mit klugem Scherzen
Das Elend dieses Lebens baun,
Bis daß der Tag, den du bestimmt,
Mir dieses, was verweslich, nimmt.
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