Der Unterscheid unter des Phoebus Rohr und Davids Harfe

[250] Gedenck auch nun einmahl, getreue Poesie,

An Sachen, die nicht so nach Welt und Thorheit schmecken,

Und leide, daß mein Fuß dich von dem Wege zieh,

Auf welchem Lust und Schein den Untergang verdecken.

Man rühmt dir allzeit nach, du seyst ein Himmelskind,

Gieb thätigen Beweis, dein Vaterland zu glauben;

Nachdem Geschmack, Geruch und Farb und Würckung sind,

Nachdem erfährt man auch den Boden reifer Trauben.

Du hast der Eitelkeit so dienstbahr aufgespielt,

Viel Feuer angesteckt, manch schlüpfrig Lied geschrieben

Und manchen reichen Thor, der sonst sich anders fühlt,

Durch Lob und Schmeicheley zum Hochmuth angetrieben;

Die Sünd ist zwar nicht klein, doch wird sie leicht verziehn,

Wenn Buß und Beßerung die Arbeit heilig machen.

Du must dein Saythenchor nach Davids Harfe ziehn,

O was bekommstu hier vor groß- und hohe Sachen!

Kein Maro, kein Homer, kein hoher Pindarus

Hat vor sein Heldenlied so reich- und starcken Zunder;

Du brauchst nicht erst den Geist, der jene treiben muß,

Betracht und schäze nur des Höchsten Werck und Wunder!

Du bist zu sehr verwöhnt und hast ein thöricht Ohr,

Wofern dir Juppiter und Venus beßer klingen,

Als wenn die Sulamith und Assaphs güldnes Rohr

Vom großen Zebaoth und schönen Freunde singen.

Liegt Elims Palmenstadt nicht höher als Athen?

Beschämt nicht Hermons Thau des Pindus Gözenhügel?

Aurora macht den Vers bey weitem nicht so schön,

Als wenn ihm David wüntscht der Morgenröthe Flügel.

Was giebt Elysien? Verlogne Frucht und Lust.

Komm, las dir Gottes Stadt vom liebsten Jünger zeigen;

Ihr Schatten wirft dir schon viel Klarheit in die Brust,

Und was du hier gewinnst, das ist ein sehnlich Schweigen.

Wie, schärfstu schon den Kiel zum Riße dieser Pracht?

Sie läst sich nicht so wohl erzehlen als genießen;[251]

Auch dazu weis ich Rath, komm mit und gieb fein Acht,

Was dort auf Golgatha vor Seegensströme fließen.

Es ist das rothe Meer in jen' gelobtes Land,

Das unser Josua am Creuze scharf erfochten;

Hier übe deine Kunst, hier wecke Geist und Hand,

Zerreiß auch, was mir sonst der Helicon geflochten;

Wir finden reichern Schmuck, was soll der Lorbeercranz?

Nimm, was der Heiland trägt, und cröne mir die Scheitel

Und sprich: Hier schenck ich dir den wahren Dichterglanz;

Wer andern Nachruhm sucht, der handelt blind und eitel.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 250-252.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gesammelte Gedichte
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte Von Johann Christian Günther (German Edition)