Schreiben an Madame [Kluge]

[252] Hochwerthe Gönnerin, es ist in unsrer Zeit

Ein seltnes Wunderwerck, wenn Damen deines gleichen

Bey so viel Ärgernüß der tollen Eitelkeit

Die Hand, so sonst verführt, nach Andachtsschriften reichen.


Die meisten, giebt man Acht, sind auch in unsrer Stadt,

Doch keine hier genennt, verdorbne Modeschwestern,

Bey welchen Scham und Zucht kein ofnes Ohr mehr hat

Und die gleichwohl dabey die Allerfrömmsten lästern.


Ein sündlich-schöner Brief, ein schändlicher Roman,

Ein schlüpfrig Buhlerlied füllt ihnen Schranck und Taschen,

Und wenn der Dichter nur fein Zoten reißen kan,

Kommt gleich ein Jahrmarcktslohn von Handschuh, Band und Flaschen.

Ich habe meinen Kiel der Thorheit oft geliehn

Und mancher Docke schon an den Galan geschrieben;

Die Sünde reut mich jezt, so klein sie ehmahls schien;

Doch bin ich stets ein Feind der Eitelkeit geblieben.


Dich unterscheidet längst von solcher bösen Art

Die Andacht ohne Schein und dies bescheidne Wesen,

Wodurch dein kluger Schaz mit Recht gefeßelt ward,

Bevor dich seine Wahl zur Liebsten auserlesen.


Hier kommt nun, wie du siehst, das nechst begehrte Lied;

Du wirst's nicht nach Verdienst, nein, nur nach Sanftmuth schäzen.

Ich weis wohl, daß die Kunst darinnen mager sieht,

Doch mein Gehorsam meint, er könne dies ersezen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 252-253.
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