Sonnet an Herrn C.G. Birnbaum, Mathem. et Philos. Studios.

[57] in Leipzig, bey dem Antritt des 1718. Jahres


Du ungeschminckter Freund bedarfst der Wüntsche nicht,

Die Schein und Heucheley an Ort und Tage binden;

Die Tugend weis vor sich mehr Glück und Heil zu finden,

Als immermehr ein Kiel erlogner Treu verspricht.

So wahr du Warheit liebst, so wahr verflucht die Pflicht

Von meiner Redligkeit dergleichen Modesünden.

Die Reime, so sich jezt nur dir zu Dienste winden,

Bedencken blos das Band, woran die Freundschaft flicht.


Dein Geist erlangt bereits das höchste Gut auf Erden;

Was ihn vergnügen kan, das steht in deiner Macht.

Doch da wir auf die Welt auch Leiber mitgebracht,

Die sonder unsre Schuld gar leicht getrofen werden,

So glaub ich, (pflegt ein Gott die Inbrunst einzusehn,)

Durch beygefügten Wuntsch sey nichts umsonst geschehn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 57-58.
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