Auf die glückliche Entbindung der Frauen Mariane Elisabeth V. Breszlerin, geb. von Wirth, mit einem jungen Sohne

[150] Reisz Boy und Flor entzwey, gelehrte Gönnerin,

Und wirf mit froher Hand die finstre Kleidung hin.

Der Bliz wird Sonnenschein und vor die Klagelieder

Bringt jezt ein Seegensgast den Jubel mit und wieder.

Dies sagt ich damahls wohl: So soll, so muß es seyn,

Der Himmel schenckt uns oft den bittern Creuzkelch ein,

Damit hernach die Lust um desto süßer schmecke

Und stets ein Gegentheil des andern Kraft entdecke.

O seliger Verlust, o angenehmes Leid,

Der Mutter Schwachheit fiel, der Sohn starb vor der Zeit,

Das erstlich Geist und Sinn in Angst und Trauer sezet,

Doch, eh man sich's versieht, um desto mehr ergözet,

Je weher uns vorher der tiefe Riß gethan.

Die Musen hören selbst die Post mit Freuden an

Und bringen ungesäumt zu reinen Opferflammen

Wuntsch, Weihrauch, Laute, Lust und Cederholz zusammen.

Ich hör auch, hör ich recht, am Pindus überall

Die Kunst Calliopens und ihrer Flöthe Schall,

Wobey der Nord verstummt, der Süd aus Ehrfurcht schweiget,

Der Bach gelinder rauscht und jeder Baum sich neiget.

So zärtlich klang das Lied vom jungen Pollio

Im Munde des Virgil, und Orpheus spielte so,

Als er Eurydicen, um die er erstlich weinte,

Von neuem hinter sich heraufzuführen meinte.

Willkommen in die Welt, willkommen, liebstes Kind,

In deßen Bilde schon der Eltern Züge sind

Und deßen Blut und Geist von ihren seltnen Gaben

Den innerlichen Trieb zu Ruhm und Tugend haben.

Willkommen, liebstes Kind, willkommen an das Licht,

Du bringst viel Freude mit, drum schweig und weine nicht,

Und las der Mutter Arm dich gern aus Liebe drücken.

Vor warst du ihre Lust, jezt bistu ihr Entzücken.

Die Parzen spinnen dir den göldnen Faden lang,[151]

Und was Hercynia vom theuren Schaffgotsch sang

Und aus Catullens Rohr schon vom Achill geklungen,

Das sey auch dir gewüntscht, das sey auch dir gesungen!

Jedoch mit Unterscheid: Achillens Ruhm war Blut

Und oft mehr blinder Zorn als wahrer Heldenmuth;

Du wirst im Friede blühn, durch Rath und Klugheit siegen,

Ein Schuz der Wittwen seyn und Fürst und Volck vergnügen.

Kein Weiser trägt bey uns mehr Nachdruck aus der Welt,

Als wem der sechste Carl und welcher ihm gefällt.

Der Nachruhm, liebstes Kind, wird auch in späten Zeiten

Dein künftiges Verdienst durch manchen Staat begleiten.

Ich und Uranie sehn alles schon voraus.

Die Weisheit bindet dir den grünen Lorbeerstrauß,

Dein früher Zeitvertreib, dein artig Kinderspielen

Wird auf die Fähigkeit des reifen Alters zielen.

Des Vaters Wißenschaft, Erfahrung und Verstand

Gewöhnt dich nach und nach zu sorgen vor das Land.

Sein Beyspiel weis dich schon im Leben und Studiren

So wie Minervens Rath Ulyßens Sohn zu führen.

Sein Muster wird dein Buch, der Hof die Schule seyn,

Asträa weiht vor dich bereits ihr Kleinod ein,

Und was Papyrius vor dem in Rom gewesen,

Das wird das zwölfte Jahr dir an der Stirne lesen.

Der Mutter Wiz und Geist und feuerreiche Brust

Gebiehrt auch uns an dir die hofnungsvolle Lust,

Du werdest als ein Haupt berühmter Mäcenaten

Durch Vorspruch, Schuz und Huld der deutschen Muse rathen.

Ihr Stunden, kommt und eilt, so schnell die Oder rinnt!

Schlaf, wachse, leb und blüh, schlaf jezo, liebstes Kind,

Du hast vor andrer Ruh dereinst noch viel zu wachen,

Ich will indeß davor die Kränze fertigmachen.

So singt Calliope, so singt, so sagt sie wahr.

Der Himmel blizt darzu und macht den Ausgang klar

Und zwingt mich ebenfalls zu wüntschen und zu hofen,

Es steh dir, theures Kind, manch Ehrentempel ofen.

Mich schmerzet nichts so scharf, gelehrte Gönnerin,

Als daß ich jezund nicht mir selber ähnlich bin[152]

Und, da ich noch den Stoß der lezten Kranckheit fühle,

Mit aller Müh und Kunst nichts Nettes denck und spiele.

Denn steckte nicht der Leib den Geist mit Schwachheit an,

Den Geist, der alle Glut im Fieber fast verthan,

So würd es mich anjezt bey aller Qual vergnügen,

Dein kostbar Liebespfand mit Liedern einzuwiegen.

Dies wäre meine Lust, dies wäre meine Pflicht.

So aber kan mein Herz vor Ohnmacht weiter nicht,

Als daß es vor dein Wohl und deines Hauses Glücke

Nebst treuer Danckbarkeit verschwiegne Seufzer schicke.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 150-153.
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