[Es rechne, wer da kan, die Tropfen in der See]

[171] [171] Zufällige Gedancken an Herrn Mag. Meisznern bey seiner Promotion.


Es rechne, wer da kan, die Tropfen in der See

Und, wenn der Winter stürmt, die Flocken von dem Schnee

Und, wenn der Frühling blüht, die Blumen auf dem Lande

Und, wenn der Sommer brennt, die Stäubchen in dem Sande,

Auch wohl zu gleicher Zeit, wie manches Lied erschallt,

Wie mancher Vogel hüpft, da, wo der schönste Wald

Die lustge Pleiße küst; dies alles mag er zehlen,

Und dennoch wird es ihm an Zahl und Worten fehlen,

Im Fall er sagen will, wie manche Wißenschaft

Bald durch ein blindes Glück, bald durch der Sinnen Kraft

Des Menschen kluger Wiz mit vieler Müh verbunden,

Oft wieder neu gemacht, oft aber selbst erfunden,

Zum Theil, der Hohen Gunst, zum Theil, das Lob der Welt,

Zum Theile (denn was macht der Deutsche nicht ums Geld?),

Ein nüzlich Kapital für sich und seine Erben

Mehr als die Ewigkeit des Nahmens zu erwerben.

Doch sind der Künste viel, und blühn sie noch so sehr,

Was hilft es, armer Mensch, der Klagen sind noch mehr,

Daß sie zu unsrer Zeit sich nicht der Mühe lohnen.

Ja, was am ärgsten ist, da, wo Gelehrte wohnen,

Beklagt in Sonderheit die allgemeine Noth

Den kläglichen Verfall: Die Künste gehn nach Brodt.

Ein Liedchen, das uns schon der Vater vorgesungen.

Denn, wie der Alte pfeift, so zwitschern auch die Jungen.

Die Künste gehn nach Brodt, so klagt die Ungedult

Und hat ein Bißchen recht. Nur schade, daß die Schuld

Mehr bey ihr selber ist als irgends wo auf Erden.

Scheint dies zu viel gesagt, es soll bewiesen werden.

Ein Kaufmann, der sein Geld an Kostbarkeiten legt,

Die unsrer Nymphen Schaar zu ihrem Hauptschmuck trägt,

Wird sein Gewerbe nicht mit solchen Wahren treiben,

Die sich dem Alter nach aus Noah Kasten schreiben,

Weil dies der Augenschein in allen Meßen giebt,[172]

Wie sehr dies schöne Volck den öftern Wechsel liebt

Und daß sie in der That von Spizen, Flor und Bändern

Die Moden ja so oft als ihre Liebsten ändern.

Dies thut ein Handelsmann. Nun weis man, daß vielleicht

Die Welt mehr als zu viel dem Frauenzimmer gleicht,

Und dennoch weigern sich, die mit der Weißheit handeln,

Den Kram der Wißenschaft in Künste zu verwandeln,

Die nach der Mode sind. Zwar Grillen ohn Vernunft,

Die eine Misgeburth von jener Heldenzunft

Des klugen Stagirits bethörten Schülern waren,

Sind endlich großentheils zum Abgrund hingefahren

Und aus der Welt verband. Was aber gründlich heist,

Der Boßheit giftig Kraut aus unsern Herzen reißt,

Den träumenden Verstand aus seinem Schlaf erwecket,

Die Warheit untersucht, der Dinge Grund entdecket,

Den Aberglauben stürzt, des Himmels Allmacht ehrt,

Das Wohl der Republic, des Nechsten Heil vermehrt,

Dies eben ist die Kunst, dies sind die Wißenschaften,

Daran so viele noch in ihrer Unschuld haften,

Und man gebraucht sie doch so wenig diese Zeit

Als bey der heutgen Welt die alte Redligkeit.

Zwar wenn man allemahl die Tugend müste fragen,

Was ihre Meinung sey, die würde freylich sagen,

Man thue recht daran. Allein, wir sehens wohl,

Die Tugend und ihr Rath macht keine Kanne voll.

Wer Brodt verdienen will und seinen Beuthel spücken,

Der muß sich in die Welt und ihre Weise schicken.

Wohlan, es lebe dann hinfort die Modekunst,

Die uns den Handgrif zeigt, wodurch ein blauer Dunst,

Doch alles mit Manier und ohne viel zu prahlen,

So gleichsam ohngefehr den Leuten vorzumahlen.

Die Einfalt denckt vielleicht, man nenne dies Betrug.

Doch welch ein hartes Wort! Die Einfalt ist nicht klug;

Es heist nur Wind gemacht. O lies ein Jahrbuch wißen,

Was vor ein Volck zuerst sich dieser Kunst beflißen.

Wer weis, es möchten wohl die edlen G. seyn.

So aber läst man sich in diesen Streit nicht ein,[173]

Weil doch der Franzmann stets, der Geist von hohen Gaben,

Wenn was erfunden ist, es will erfunden haben.

Wiewohl, wer ohne Scherz die Warheit will gestehn,

Der wird die Spuren schon in alten Zeiten sehn,

Wo uns von Griechenland und Trojens Wunderhelden

Die Bücher des Homer berühmte Fabeln melden;

Wann da Minervens Fuß auf ihren Wagen tritt,

So fährt als Kutscherin die große Juno mit.

Wer aber kennet nicht die Deutung der Göttinnen?

Minerva stellt uns vor ein Bildnüß kluger Sinnen,

Und Juno ist die Luft, weil Köpfe voller Wind,

O wohlgerathner Schluß, die klügsten Köpfe sind.

Wer war doch Polidor, der hochverdiente Mann,

Den nach dem Tode noch die Canzel rühmen kan?

Ein so genannter Hirt der theurerkauften Schaafe,

Der wohl, was Lehre sey, Erbauung, Trost und Strafe,

Sein Lebtag nicht gewust. Sein ganzer Reichthum war

Ein Stoß von Predigten auf zweyunddreyßig Jahr,

Von einem großen Mann mit eigner Hand geschrieben

Und in der Auction zwar hoch hinan getrieben,

Jedoch von ihm gekauft. Wie, wirft der Vorwiz ein,

War seine Lebensart denn so erbaulich? Nein.

Wie kommts denn, daß man ihn zum Priester wehlen muste?

Dieweil er groß zu thun und Wind zu machen wuste.

Schaut jenen Maximin; wie lobt ihn nicht die Welt,

Die seinen klugen Spruch vor ein Orackel hält:

Er scheint zum Wohlergehn des Helicons gebohren

Und von der Schickung selbst zu unserm Heil erkohren.

Ist jemand, den sein Winck zu einem Schreiber macht,

Wohl dem und aber wohl! Der hat es hoch gebracht

Und kan von seinem Fleiß, wiewohl er schlecht gewesen,

Die unvergleichlichsten und schönsten Früchte lesen.

O, rief ein Dichter einst, was herrscht nicht hier vor Wind!

Noch mehr von dieser Art! Es klagt ein vornehm Kind,

Der Finger thut ihm weh. O Himmel, eilt geschwinde,

Damit man ohn Verzug den klugen Damon finde.

Der kluge Damon kommt, sein hoch beredter Mund[174]

Giebt hundert Mittel an, macht tausend Säfte kund

Und bringt Exempel her von mehr dergleichen Fällen,

Daß einem, der es hört, die Ohren möchten gellen.

Den Finger heilt er nicht. Indeßen ists der Mann,

Ohn deßen Gegenwart kein Großer sterben kan.

Und sollte jeden Tag ein Patient verschmachten,

So hörte doch die Welt nicht auf, ihn hoch zu achten.

Warum? Er machet Wind. Hingegen bleibts dabey:

Man sey der Warheit hold, von Vorurtheilen frey,

Besize viel Verstand, verstehe seine Sachen

Und habe nur nicht Lust, wie andre Wind zu machen,

So hilft dies alles nicht. Wer so wie Naso spielt,

So klug als Juvenal auf unsre Beßrung zielt,

So prächtig als Virgil von seinen Helden singet,

Daß von dem frohen Schall die Oder wiederklinget,

Gerintho, deßen Werth kein niedrig Herze fast

Und welchen doch ein Schwarm von kahlen Stümpern hast,

Der hieße sonder Streit der Dichter Preis und Ehre,

Wenn nur die Modekunst bey ihm gebräuchlich wäre.

O, die ihr Reichthum sucht und die ihr Glück begehrt,

Last doch die Künste stehn, die keines Hellers werth;

Verbannt den Eigensinn, die alte Schulmethode,

Und lernt an deren statt die Weißheit nach der Mode.


Du aber, werther Freund, was denckt dein edler Sinn?

Du nimmst zwar diesen Tag Sophiens Cronen hin,

Verdienst bey früher Zeit das Lob der klugen Geister

Und bist mit vollem Recht der klugen Künste Meister.

Gelt, aber diese Kunst verstehstu gleichwohl nicht,

Von der dies kühne Blat so viele Wunder spricht;

Denn obgleich dein Verstand dir viele Wunder schencket,

So will die Ehrligkeit, die deinen Willen lencket,

Dir doch im Wege stehn. Doch darum nur beherzt!

Denn was der frohe Kiel zu deiner Lust gescherzt,

Sind, wie der Titul sagt, zufällige Gedancken,

Die ohne Noth vielleicht mit Wind und Schatten zancken.

Dich hat dein edler Zweck nach einer Stadt geführt,[175]

In der man hier und da wohl auch ein Windchen spürt,

Die aber doch mit Ruhm kan hundert Männer nennen,

Die noch den rechten Werth belohnen und erkennen

Von wahrer Wißenschaft. Der Himmel, der dich liebt

Und deßen Morgen schon so viele Strahlen giebt,

Der wird den Mittag noch mit schönrem Glanz erquicken,

Den Abend aber spät und ohne Wolcken schicken.

Verlangstu hierbey auch von uns ein Freundschaftspfand,

So nimm es, werther Freund, hier hastu Herz und Hand.

Denn ob wir uns diesmahl mit dunckeln Worten schreiben,

Soll doch der Liebe Glut in heller Klarheit bleiben.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 171-176.
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