[Es haben viel ihr Zeitvertreiben]

[285] [285] Nahmensreim an Mad. E.R.H.


Es haben viel ihr Zeitvertreiben

Von Bäumen ungemeiner Frucht;

Allein ich will bey Blumen bleiben,

Rath ein, was meine Wahl jezt sucht.

Obgleich die Dörner anfangs stechen,

So will ich dennoch Rosen brechen.


Ich kenn und weis dergleichen eine,

Nichts ist ihr an Entzückung gleich;

Ach würde sie nur endlich meine!

Gewis, ich hätt ein Himmelreich.

Ein jedes Blat auf ihrem Stengel

Beschämt den jüngsten Liebesengel.


O Liebe, die du selbst den Rosen

Herz, Lust, Geruch und Blut geschenckt,

Regiere sie, mir liebzukosen,

Nachdem es das Verhängnüß lenckt;

Es soll ihr auch von mir auf Erden

Herz, Trieb und Geist gegeben werden.


Ein Kuß auf ihren Purpurblättern

Reißt meine Freyheit ewig hin.

Bleibt, Thoren, bey den Frühlingswettern,

Stehlt Sommerthau und Wintergrün,

Ich hof und seufze mit Verlangen

Nach Rosen, die im Herbste prangen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 285-286.
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