[Der Traumgott führte mich bey angebrochner Nacht]

[76] Träumende Gedancken, als der wohledle, groszachtbahre und wohlgelahrte Herr Johann Christian Ernesti von Tännstädt aus Thüringen den 30. April. A. 1716. auf der weltberühmten Universität Wittenberg als Doctor Philosophiae ernennet wurde.


Entworfen im Nahmen eines Andern.


Der Traumgott führte mich bey angebrochner Nacht

Aus meiner Lagerstatt in unbekandte Gränzen,

Ich sah den blaßen Mond mit halbem Lichte glänzen

Und ward durch einen Sumpf auf den Parnaß gebracht.

Es wimmelte der Berg von hunderttausend Füßen,

Die Krämer wollten sich der Meße nicht entziehn,

Um, weil Mercurius den Jahrmarckt ausgeschrien,

Auf künftigen Gewinn die Buden aufzuschließen.


Hier saß ein Wurzelmann, der Otterhäute frißt,

Dort lag ein Charletan, hier stund ein Glückstopf ofen

Und reizte manche Faust, den reichsten Grif zu hofen;

Dort gieng ein Schneider durch, der nur die Beuthel mißt;

Zur Rechten sang ein Weib mit halbverdrehten Augen:

Ach, lieben Leute, hört das Wunderzeichen an!

Es hat ein todtes Kalb zwey Augen zugethan,

Daraus könt ihr viel Trost in mancher Trübsahl saugen!


Ein Mauschel lief mir nach und wies mir seinen Kram;

Dies war ein theures Gut der allerfeinsten Spizen.

Ich sprach: Die Kostbarkeit mag einem andern nüzen,

Den neulich Flavia so gut herüber nahm.

Zwey Jungfern handelten um scharfgeschlifne Scheeren,

Damit es Mops nicht fühlt, wenn es dem Leder gilt.

Indeßen winckte mir ein nettes Venusbild,

Die Wahren, so sie trug, fein theuer anzuwähren.
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Ich lief ihr hurtig zu und ward so stumm als blind,

Weil ihre Schönheit mich in die Entzückung sazte:

Ihr Mund, der Nectar stieß und wie die Engel schwazte,

Schien wie der Muscheln Blut, die frisch verwundet sind;

Die Augen liefen um und schoßen hin und wieder;

Die Brust war so beflort, daß sie fast nackt erschien.

Ha, dacht ich, Wiz genug! Du wilst nur weiter ziehn;

Wer sicher leben will, hört nicht Syrenenlieder.


Der Creuzweg brachte mich zu einer Wechselbanck;

Hier wollte gleich ein Mann sein böses Weib verkaufen.

Doch es erhub sich bald ein wunderbares Raufen,

Indem ein Alchymist die Leute an sich zwang;

Er dachte Bley und Zinn in Trinckgold zu verwandeln;

Der Anschlag wollte nicht nach Wuntsch und Willen gehn,

Drum lies er Herd und Glut und Topf und Tiegel stehn

Und fing aus Armuth an, mit Brillen starck zu handeln.


Mein Vorwiz hätte sich noch weiter umgeschaut;

Allein ein Aufzug hielt des Fußes Flucht zurücke:

Die Weißheit trat herein in einem goldnen Stücke,

Dem Bengals Reichthum sich nicht zu vergleichen traut.

Ihr Hauptschmuck war ein Kranz der sieben naßen Sterne,

Ihr Antliz durch den Schein des Monden angefüllt,

Das Kleinod hoher Brust trug einen Sonnenschild

Mit dieser Läuterung: Sie glänzt auch in der Ferne.


Sie stieg auf einen Thron und gab der Majestät,

So aus dem Munde brach, den Nachdruck ihrer Mienen.

Ihr, rief sie, welche mir als freye Sclaven dienen,

Fängt euch die Eitelkeit, die doch der Wind verweht?

Was steht ihr dort und da bey solchen Gauckelpoßen!

Last es der Einfalt zu, der es am Salze fehlt,

Und diesem, den ein Kuß bisweilen ärger quält,

Als wenn ein rothes Aug ihn gar mit Flachs geschoßen.
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Kommt alle, deren Fleiß zu guten Künsten brennt,

Holt euch den grünen Lohn, der um die Schläfe prahlet;

Wer vor den Ehrenkranz das Gold der Arbeit zahlet,

Ist würdig, daß man ihn vor meinen Sohn erkennt!

Das Wort war kaum heraus, so liefen ihre Jünger,

Wie wenn es Hagel schneyt, mit ganzen Schaaren hin.

Sie streckten Hand und Arm und suchten den Gewinn;

Doch wer zu hizig grif, dem klopfte sie die Finger.


Mein Freund, ich sah auch dich in diesem Kreise stehn,

Du wurdest unversehns von ihrer Hand gezogen;

Ihr Kuß gab dir das Lob: Mein Sohn, den ich gepflogen,

So lange Blut und Geist in deinen Adern gehn,

Dein wohlgeübter Kopf, dein rühmliches Verhalten,

Das keinen Nebenweg von meiner Straße gieng,

Verdiente allerdings der Ehre Siegelring,

Denn deine Tugend kommt an den Verstand der Alten.


Minervens muntrer Hahn kräht oft den Morgen aus,

Indem der Guckuck noch aus meinen Kindern singet.

So war es nicht bey dir; die Müh, so alles zwinget,

Hies fast dein Eigenthum. Nimm diesen Lorbeerstrauß,

Das Wappen deines Ruhms; kein Bild geschickter Hände,

Kein süßes Saythenspiel wird dich so sehr erfreun.

Erinnre dich dabey: Er wird so fruchtbahr seyn,

Als wenn ihn deine Faust auf anderm Boden fände.


Gleich als sie dies gesagt, kam mir ein Husten an,

Ich wachte plözlich auf und fand mich in dem Bette.

O, sprach ich, wenn der Traum doch mehr gesaget hätte!

Nicht anders, Herzensfreund, du trifst der Weißheit Bahn

Und crönest dein Verdienst; drum folgt dir auch mein Seegen

Und wüntscht, daß dieser Tag, da dich Sophia nimmt,

Den andern nach sich zieh, der dir ein Buch bestimmt,

Das schön und fähig sey, sich selber zu verlegen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 5, Leipzig 1935, S. 76-77,81-83.
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