Die Kenner

[126] An Herrn M.A. Wilkens.


Es ließ sich in der Vögel Chören

Unlängst ein junger Vogel hören,

Und suchte nichts so sehr, als wahrer Kenner Gunst.

Gemeiner Sänger List wirbt manchen feilen Gönner:

Allein das Lobgeschrei, der Beifall halber Kenner

Entehrt, und zieret keine Kunst.


Es lobten ihn die Haidelerche,

Ein reisend Paar verirrter Störche,

Der Staar, der Zitscherling, der Wendehals, der Specht.

Der Hänfling kam hervor, und bat ihn, mehr zu singen;

Der heischre Kiebitz schrie: Nichts kann mir besser klingen;

Der Reiger sagte: Du hast Recht.


Die Elster schwatzte ganze Stunden,

Und rühmte was sie schön befunden,

Des freien Schalles Höh', und sanfter Töne Fall.

Der ekle Vogel sprach: Soll nichts dem Wunsche fehlen,

Und darf sich mein Versuch selbst einen Richter wählen,

So wähl' ich mir die Nachtigall.
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Mich dünkt, sein Wunsch ist nicht zu tadeln.

Soll uns ein ächter Vorzug adeln,

So muß der Einsicht Kraft den Stimmen Werth verleihn.

Man kennt, man überlebt des Nachruhms Ewigkeiten,

Die der Gelehrten Schaum, die Schmeichler unsrer Zeiten,

Einander ohn' Erröthen weihn.


Du Freund und Muster deutscher Dichter,

Der Wahrheit liebenswürdger Richter,

Mein Wilkens, den vorlängst der Pindus lieb gewann;

Wie reizend werden mir doch meine Lieder schallen!

Wie werd' ich, Werthester, mir endlich selbst gefallen,

Wenn ich nur dir gefallen kann!


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 126-127.
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