Der Hase und der Dachs

[193] Ein Hase wird vor Furcht und wachem Kummer grau,

Und, Eremiten gleich, durch strenges Fasten hager.

Nichts, als die höchste Noth, treibt ihn aus seinem Lager.

Sein fetter Freund, der Dachs, geht öfters aus dem Bau,

Und suchet Luft und Fraß bei jedem Frühlingsthau.[193]

Kaum läßt sich ein Geräusch verspüren,

Kaum kann der hohe Storch zum Froschfang ausspazieren,

Kaum können Hasen selbst im Busche haseliren;

So wird auch jener gleich die Löffel ängstlich rühren.

Im Walde, Strauch und Rohr horcht niemand so genau.


Waldbruder, spricht der Dachs, du scheinest allen Thieren

Mit Recht beklagenswerth in deiner Furchtsamkeit.

Wer wollte doch den Muth verlieren?

Der Hase gibt ihm zum Bescheid:

Herr Nachbar, ohne Furcht ist keine Sicherheit,

Sieh nur umher; der Fuchs ist nicht mehr weit.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 193-194.
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