Die Taube, der Falk und der Tauber

[207] Ein Blaufuß steigt zum neuen Raube

Aus Nest und Wald empor, reviert in hoher Luft,

Beschauet Berg und Thal, und sieht in einer Gruft

Des treuen Taubers Lust, die schönste Turteltaube.

Auf sie stößt er herab, erreicht, und greift sie bald,

Und ist schon im Begriff, die Arme zu zerreißen,

Als sie ihn girrend fragt: Wird dieses Siegen heißen,

So man nicht kämpft? Erweise die Gewalt;

Doch nicht an mir, die ich vor Schrecken sterbe.

Nein, daß dein Muth den rechten Sieg erwerbe,

So falle nur den großen Reiher an,

Den Adler selbst, und was sich wehren kann.


So wehre dich! versetzt der Falk, und dräute:

So wehre dich! ist nicht dein Schnabel gnug zum Streite?
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Zum Streite? wie? er kennt nicht Streit noch Groll,

Und hat nicht Kraft, als wann er schnäbeln soll.

Es ist sein Stoß, die Regung sanfter Triebe,

Nichts, als ein Spiel, ein Reiz, ein Kuß der Liebe

Für meinen Freund .... Und wer ist dieser Freund?

Mein Tauber ist's: er schläft auf einem Zweige ...

Man weck' ihn auf: es ist dein Held mein Feind.

Dir steh' er bei: ich will, daß er sich zeige.


Das Täubchen seufzt. Ach nein, ich bitte, nein!

Sonst würde nur mein Jammer größer sein.

Noch seufzet sie, und schnell erwacht der Gatte,

Er fliegt von selbst dahin, wo sie der Räuber hatte.

Mit ihr scheint auch der Tod ihm vor dem Würger schön:

Sie sterben Hals an Hals, da der den Mord verübte.


Die heiße Liebe sieht auf nichts, als das Geliebte;

Die kluge hätte nur auf die Gefahr gesehn.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 207-208.
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