Der Traum

[280] Ich schlief in einem Garten,

Den Ros' und Myrthe zierten,

In dem drei holde Schönen

Den habentblößten Busen

Mit frischen Blumen krönten,

Die jede singend pflückte.

Bald gaukelten die Spiele

Des Stifters leichter Träume

Mir um die Augenlider,

Und mich versetzten Morpheus

Und Phantasus, sein Bruder,

Ans Ufer von Cythere.

Der bunte Frühling färbte

Die Blumen dieser Insel;

Der leichte Zephyr küßte

Die Pflanzen dieser Insel;

Und sein Gefolge wiegte

Die Wipfel dieser Insel.

Wie manches Feld von Rosen,

Wie mancher Busch von Myrthen

War hier der Venus heilig!

Der Göttin sanfter Freuden,

Der Freuden voller Liebe,

Der Liebe voller Jugend.

Ich sah die Huldgöttinnen,

Geführt vom West und Frühling,

Gefolgt von Zärtlichkeiten,

Mit Rosen sich umkränzen,

Sich Mund und Hände reichen

Und ohne Gürtel tanzen

Und bei den Tänzen lachen.

Hier fand ich auch den Amor,

Der seine Flügel sonnte,

Die ihm vom Thau befeuchtet

Und so betröpfelt waren,

Als da er seinen Dichter

Anacreon besuchte.[281]

Er wollte von mir wissen,

Wer von den holden Dreien

Bei mir den Vorzug hätte,

Als mich von jenen Schönen,

Die sich die Blumen pflückten,

Die Schönste lächelnd weckte.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 280-282.
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