Der Zorn eines Verliebten

[300] Aus Priors Gedichten.


Brief und Wink verhießen mir

Schon um Zwei die liebste Schöne;

Doch der Zeiger ging auf Vier,

Und mir fehlte noch Climene.


So Geduld als Zeit verstrich

Und ich schwur, den Trug zu rächen;

Aber endlich wies sie sich,

Endlich hielt sie ihr Versprechen.


Wie so schön, sagt' ich aus Hohn,

Hast du alles wahrgenommen!

Nur zwo Stunden wart' ich schon:

Konntest du nicht später kommen?
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Eines Frauenzimmers Uhr

Braucht nicht Ziffer, braucht nicht Räder:

Schmückt sie Kett' und Siegel nur,

Was bedarf sie dann der Feder?


Da mein Eifer Raum gewann,

Wollt' ich sie noch schärfer lehren;

Doch, was lärmst du? hub sie an:

Wird man mich denn auch nicht hören?


Ach! was hab' ich jetzt vor Schmerz

Von der Rosenknosp' erlitten,

Die mir, recht bis an das Herz,

Von der Brust hinabgeglitten!


O wie drückt mich's! Himmel, wie!

Hier, hier, in der linken Seite.

Sieh nur selbst: mir glaubst du nie;

Doch was glaubt ihr klugen Leute!


Sie entblößte Hals und Brust,

Mir der Knospe Druck zu zeigen:

Plötzlich hieß der Sitz der Lust

Mich und die Verweise schweigen.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 300-301.
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