Morgengesang

[45] Nun ist die übermüde Nacht

In sichrer Ruhe hingebracht,

Die Morgenröthe blicket;

Der Sonnen Purpurangesicht,

Das Aug' der Welt, das Flammenlicht,

Der Menschen Sinn erquicket.

Schauet, s'thauet

Perlenthränen,

Zu beschönen

Unsre Heiden,

Die mit fettem Klee sich kleiden.


Es singt der Vogel in der Luft,

Daß widerschallt der Thäler Gruft,[46]

Dem höchsten Gott zu Ehren,

Der allem Fleisch zu rechter Zeit

Hat sein begnügtes Mahl bereit',

Pflegt alles Heer zu nähren.

Felder, Wälder,

Was ihr heget,

Was sich reget

Hier und oben,

Soll den Schöpfer stetig loben.


Gleichwie der Blumenblättlein Schrein

Zertheilt der warme Sonnenschein,

Sie gänzlich zu erquicken,

So soll auch mein verdüstert Herz

Sich öffnen, daß des Geistes Kerz'

Kann seinen Schrein durchblicken.

Rührend, zierend,

Daß es Gaben

Möge haben,

Die vor allen

Gott und Menschen wohlgefallen.


Herr, hilf, daß ich auch diesen Tag,

Und so lang' ich noch leben mag,[47]

Mein Amt getreu verrichte,

Daß ich auf deinen Wegen geh',

Und aller Sünde müßig steh',

All' Eitelkeit vernichte,

Und wann kommt dann

Tod und Sterben,

Laß mich erben

Und empfangen,

Was die Frommen all' erlangen.


Quelle:
Auserlesene Gedichte von Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken, Andreas Scultetus, Justus Georg Schottel, Adam Olearius und Johann Scheffler, Leipzig 1826, S. 45-48.
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