(XXV.)

Die blinde Unkeuschheit.

[79] Der Zorn und die Liebe zeuget blinde Jungen / wie der Hund und die Hündin. Die Begierden sind blind und übereilen sich allezeit / »wie jener gesagt daß die Sünde sey eine übereilung / dann wann sich der Sünder genugsam bedächte / so solte er die Zeit seines Lebens nicht darein willigen / wie aus folgenden Geschichte zu erlernen.«

2. Hermione ein Wunderwerk der Schönheit / erweckte vielen einen Lust / aber wenigen eine Hoffnung solchen zu bůssen. Sie war gleich auf einer Seiten wie der schwartze Magnet der das Eisen an sich ziehet / und auf der andern Seiten / wie der weisse Magnet welcher es von sich stösset.

3. Unter ihren Aufwartern war Pacian und Lancelas vorneme Edelleute. Nichts war kälter / als die Ursache ihrer Liebsflammen. Alle Mannsbilder waren ihr gleich so viel / als ob sie ihres Geschlechts were / und so ein unbewegliches Bild / als deß Pigmaleons / und aller Liebe unfähig. Sie verachtet vielmehr diese beede / als daß sie ihnen gleiche Bewogenheit erzeigen solte: doch beharten sie / mehr aus Neid / in dem keiner den andern weichen wollen / als aus Hoffnung viel auszurichten.

4. In dieser Bedienung lässet sich Lancelas bedunken / Hermione sey Pacian mehr geneigt als ihm / und warte seinen Gesprächen länger ab. Nach vieler Besprächung mit seinen Gedanken / entschleusst er sich an seiner Verächterin zu rächen / und zwar mit der Weiber Schwert / der Zungen / welches die Ehre tödtet / so dem Leben gleich schatzbar gehalten wird.[79]

5. Also erdichtet Lancelas böse Sachen von Hermione und bringt es in der Statt aus / sie wiederumb in Verachtung zu bringen. Die Verläumbdung ist so viel ärger / als das Affterreden / weil jenes die Unwarheit / diese wie Warheit zu ungebührlicher Zeit und Ort / mit Verachtung heraus stösset. Hermione kommet solches zu Ohren / und weil sie stoltz / wie die Schönen zu seyn pflegen / gedachte sie sich an diesen Verläumbder mit ernst zu rächen.

6. Die erste Gelegenheit die beste. Pacian sprache mit jhr von seiner Schuldigkeit ihr zu dienen / und wann es ihm auch das Leben kosten solte. Wie sagt ihr / antwortete sie / daß ihr mich liebet / in dem ihr mit stillweigen anhöret / wie Lancelas mit seiner Otter-Zungen meinen ehrlichen Nahmen beflecket? Lancelas / antwortete Pacian / redet übel von Hermione an einem solchen Ort / da man sie und auch ihn kennet. Ich halte daß solcher Frevel mit Verachtung zu bestraffen / massen jederman wissend ist / daß seine Verleumbdung falsch / Hermione versetzte / daß eben diese Falschheit zu bestraffen / und durch die Straffe zu hintertreibē / und verspricht benebens / daß sie sich mit ihm ehlich verloben wolle / wann er diesen ihren Feind niedermachen würde.

7. Hieraus er sahe Pacian / daß jenes Haß seine Liebe verursachte / und hette er nicht ein / sondern tausend Leben in die Schantze geschlagen / Hermione zu erlangen. Lässet deßwegen Lancelas auf den Platz fordern / Hermione Ehre zu retten / allermassen auch bey den Alten dergleichen gebräuchlich gewesen / und eine angeklagte Jungfer einen Ritter gewehlt / welcher für sie zu Turnieren unternommen.

8. Lancelas findet sich an benamten Ort / und wird von Pacian durchstochen / und genöthiget / daß er bekennen müssen er habe von Hermione ausgesprängtes böses Gerücht erdichtet / und wisse in der Warheit nichts / als Ehr und Zucht von jhr zu sagen. Dieser Sieg wurde Pacian theur verkaufft / dann er mit dreyen Wunden kaumlich davon kommen: deren zwo fast tödtlich / und von den Wundärtzten mit[80] grossem fleiß gewartet worden / mit Hoffnung daß er davon kommen könte / wann er sich darnach halten würde.

9. Hermione ist mit dieser Rache völlig vergnüget /und fänget an Pacian eiferigst zu lieben. Sie eilet ihn zu besuchen / empfängt ihren siegenden Ritter mit einem Dankkuß / und weinet für Freuden an seinem Halß: sie verspricht ihm die Ehe / kommet nicht von seinem Bette / bleibet Tag und Nacht bey diesen Kranken / der sich als ein Bräutigam zu erzeugen begehret / und sich stärker zu machen beginnet / als er wegen seiner Wunden nicht war.

10. Was thust du Pacian? Was unterstehest du dich? Deine blinde und unbedachtsame Unkeuschheit wird dir das Brautbett zu einer Todtengruben machen / und die Wunden deines Hertzens werden die Wunden deines Leibs erneuren. Das ehliche Werck wird mit der hinfallenden Kranckheit verglichen / alle Geisterlein deß gantzen Leibs werden dieser starken Bewegung durch die Hemmung deß Verstands theilhaftig / daher die Naturkündiger zweiflen: ob bey der Frucht in Mutterleibe / die Bildungskräften / welche in solchen Werke am schwächsten sind / etwas würken können / wie hiervon zu lesen Garzzon. nel. Seraglio de 1. Stupori. Stantz. 5. f. 23.

11. Damit wir aber nicht weiter abtretten / ist kürtzlich zu gedenken / daß Pacian in den Armen seiner Liebsten den Geist aufgegeben / weil alle Wunden sich unter dem Gebände eröffnet / und ihm alle Kräfften zugleich entgangen. Ob Hermione über diesen Blutbräutigam muß erschrocken seyn / ist leichtlich zu gedenken / und wurde sie für eine Mörderin Pacians außgeschrien. Was ihr zuvor mit Unwarheit nach gesagt worden / hat sie aus blinder Unkeuschheit Statkündig gemachet / daß sie aus grosser Betrübnis in ein Kloster gegangen / und darinnen ihr Leben geendet.

12. Hieraus ist unter andern zu erlernen daß die Mahler den Liebsschützen mit guten Ursachen blind und als ein einfältiges Kind gemahlt: Die[81] Jugend weiß nicht was zu ihrem Frieden dienet / und lässet sich durch viehische Begierden bethören / und von dem Stiffter aller Sünde in Leibs und der Seelen Gefahr setzen / daher der alte Tobias seinem Sohn diese schöne Lehre gegeben: Dem Lebenlang hab Gott für Augen und im Hertzen / und hüte dich / daß du in keine Sünde willigest / und thust wieder Gottes Gebot. Hüte dich für allerley Hurerey / und laß die Hoffart / noch in deinem Hertzen / noch in deinen Worten herrschen.


13. Letter Wechsel. Furcht: Frucht.

Gottes furcht / bringt Frucht zu rechter Zeit

Gleich der Palm der an einem Bach gesetzt /

Den der Wind und der Winter nicht verletzt /

Fleisches Lieb hegt hingegen Hertzenleid.


Ende deß ersten Theils.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 79-82.
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