(XXXVI.)

Die Zauberlieb.

[119] Man pflegt in dem Sprichwort zu sagen: Ein gutes Land nehrt böse Leute: da hingegen ein unfruchtbares schlechtes Land arbeitsame und sinnreiche Leute trägt / welche durch ihrē fleiß ersetzē / was dem Erdboden ermangelt: massen der Hunger ein Erfinder gewesen ist vieler Künste / so vielleicht sonsten zurücke geblieben weren.

2. Dieses Sprichwort erhellet sonderlich in dem Königreich oder vielmehr der Landschafft Valentz /da der Winter fast unbekannt / und deß Sommers Hitze / von den Meer- oder Seewinden gemässiget und gelindert wird: daß gleichsam der Früling und der Herbst in Hervorbringung aller Liebligkeiten / mit einander streiten / ob wol sonsten niemand von streiteen reden höret / und fast unbewust was die Soldaten für Menschen sind. Solcher gestalt leben die Leute in lustrendem Müssiggang / ich wil sagen in Beschefftung derer / welche nichts zu thun / als zu lieben / und Frauenzimmer auf zu dienen: so gar daß es fast eines ist / von Valentz bürdig / und verliebet seyn.

3. Die Bulerey stehet sonderlich den alten Narren übel an / welche mit den Jahren die Flammen außleschen und nicht unter der Aschen schwache Kräfften erhalten solten. Verständig und verliebt seyn sagen die Frantzosen / sey auch den Göttern nicht zugelassen / und die Italiäner sagen:


Kein Kranker seine Schmertzen liebt /

Als dero sich dem Weib ergibt.


Ja die Liebe machte diese verliehten so sinnloß / daß sie wegen einer schnellflüchtigen Wollust / sich in ewigwerenden Unlust und in den Abgrund der Höllen stürtzen / und auch aus verzweiffelter Boßheit deß Satans Hülffe gebrauchen.[120]

4. Solche unbesonnene Thorheit haben begangen Cardenio ein Edelmann von Valentz / welcher die schöne Hyoldam / verzweiffelter weise geliebet / von ihr aber beharrlich gehasset worden: weil sie sich mit Einwilligung ihrer Eltern / Lucian / einem andern Edelmann ergeben. Cardenio unterliesse nicht dieser Jungfer mit Musicbringen / mit Lobgedichten / mit Gesprächen und andren Höfligkeiten zu dienen /fande aber keinen Mangel an dieser schönen / als die Danckbarkeit / der Platz ihres Hertzen war so wol besetzet / daß er jedes mal mit Schanden abziehen muste.

5. Febronia eine andre Jungfer in besagter Statt /darvon solches Königreich den Namen hat / war anfangs von Cardenio geliebet / aber nachmals als sie vermeint sich durch ehliche Trauung mit jhme zu verbinden / verlassen worden. Diese Febronia liebte Cardenio so sehr / als er die Hyoldam / und konte ihr seinen Namen nicht aus dem Gedächtnis entfallen lassen. Sie flehte / schriebe / klagte / ruffte und wolte Cardenio wieder zu ihr ziehen / er war aber auf der andern seiten gar zu tief eingesessen. Die Schamhafftigkeit / welche bey dem Weiblichen Geschlecht das stärckste Tugendband ist / oder seyn sol / war durch solche Brunst entzweyet / daß sie Cardenio nachlaufft / und nachschicket / wie die verlassne Dido ihrem Ænea.

6. Nach dem nun Febronia alles was sie gewust /vergeblich versuchet / fragte sie ihn zu raht eine alte Hex / Affra genant: welche sich rühmte / daß sie alle Liebskrankheiten / durch gantz geheime Mittel heilen könte. Diese Affra versprache nun / sie wolte ihr einen Trunck der Vergessenheit beybringen / daß sie an den Unbeständigen Cardenium nicht mehr solt gedencken / oder ihre Liebe in gleich eifrigen Haß verwandlen. Ach nein / nein antwortete Febronia / ich liebe ihn auch in seiner Unbeständigkeit / und wann ihr mich bey Leben erhalten wolt / so macht daß er mir zu theil werde.

7. Die Zauberin bekennte / daß ihre Kunst den[121] Willen nicht zu bezwingen vermöchte / noch weniger aber zu dem Ehestand (welcher von ihrem Meister gehasst und gehindert wird) einige Beförderung thun könte: das wolte sie aber wol zu wegen bringen / daß Cardenio sie solte für die Hyoldam halten / gegen welche er mit so starcken Liebsflammen entzündet. Febronia wolte dieses Mittel aus Eifer / nicht gerne zulassen / doch endlich hat sie darein gewilliget / und die alte Hexe gebeten / solches in das Werck zu richten.

8. In dem nun Affra hierunter bemühet ist / hat Cardenio bey Capor einem Zauberer / und dieser Affre Sabbatsgenossen / gleichsfals Rath gesuchet die Hyoldam zu seinem Willen zu bewogen. Capor hat ihm wollen ein altes Aaß in der Hyolda gestalt untergebē / damit er umb sein Gelt verblendet / und seinen Luft büssen möcht: als er aber von Affra der Febronia Ansinnen erfahren / haben sie beederseits wol dienen und Cardenio seine verlassene unter der Hyolda gestalt leichtlich zukoppeln können.

9. Dieser verfluchte Handel machte die Druten Leute viel Ducaten verdienen / weil sie der arme Teuffel sonst nicht bereichern könte / und das Gold / welches in der Vorhelle aus der untersten Erden gegraben wird / bey diesen Höllenleuten auch seine Wirckung nicht verleurt. Es war aber die Zeit verhanden / daß solcher Betrug solte offenbaret / und die Verbrecher zu gebührlicher Straffe gezogen werden: massen aller Wandel und Handel der Finsternis / zu rechter Zeit an deß Tages Liecht gebracht wird / ob gleich der Sündenmaß groß / und so bald nicht zugefüllet.

10. Cardenio fande die falsche Hyoldam bey Nachts sehr erhitzt / bey Tage aber eißkalt und voller Verachtung / und wann er ihr von der Ehe und außgehändigter Verlöbnis für schwatzet / daß solche allein ihre Ehre wiederstatten könne etc. wil sie darvon noch hören / noch von dem was vorgegangen seyn sol /wissen. Hierüber beklagte Cardenio bey Caper / welcher antwortet / daß seine Kunst die äusserlichen aber[122] nicht die innerlichen Sinne bewegen könne / darunter auch das Gedächtnis gezehlet wird: Er solte nur stillschweigen / und ferneren Erfolg der Zeit anbefehlen.

11. Inzwischen nun wird Hyolda Lucian versprochen und der Hochzeit-Tag bestimmt. Hier kunte Cardenio nicht länger schweigen / sondern weiset eine Heuratsabrede / welche unter Hyolda und ihme schrifftlich auffgerichtet worden / der Hoffnung sie solcher gestalt davon zu bringen. Als nun Hyolda hiervon nichts wissen wollen / sondern diesem versprechen mit grossem Zorn wiedersprochen / hat er ungescheut sich gerühmt / daß er sie auch zum offternmal beschlaffen / und das Verlöbnis durch das Ehliche Werck vollzogen / etc. und sagte auch unbedachtsam / daß er solches durch Caper den Zauberer zu wege gebracht.

12. Lucian wolte ferners nicht verfahren / und gaben die Befreunden alle den Rath / man solte dem Cardenio die Hyoldam trauen lassen / die Zauberey seiner grossen Liebe zuschreibend / und die gantze Freundschafft fernerer Schande entnehmen. Hyolda aber hatte ein gutes Gewissen / und wolte darein nicht willigen / weil sie unschuldig / und mit Cardenio / der sie mit solcher falscher Verleumbdung beleidiget / in mehren nicht zu schaffen gehabt / wolte sich auch von Matronen besichtigen lassen / und beglauben / daß sie noch eine reine Jungfrau / etc. Lucian aber wil auch solchen Beweiß / der in Weiber Worten bestehet /nicht für genugsam halten.

13. In dem nun Cardenio vermeint Hyoldam darvon zubringen / kommt Febronia in das mittel / und wiedersetzet sich solcher Verlöbnis / weil sie sich von ihme schwanger befunden / und wird die Zauberey dieser beeden eröffnet / darüber Affra und Caper flüchtig werden / Cardenio aber und Febronia in das Gefängnis kommen. Hyolda wird unschuldig befunden / Febronia von jedermann verlacht / und als eine geschändte Dirne veracht / Cardenio[123] von dem falschen und Febronia nicht vermeinten Eheverlöbnis freygesprochen / der sich dann in Welschland begeben / daß er Hyoldam mit Lucian nicht Hochzeit machen sehen dörffen. Nach verlauff etlicher Jahre ist so wol er als Febronia in ein Kloster gangen / Caper und Affra aber sind lebendig verbrennet worden.

14. Hieraus ist zu sehen / was Unheil eine blinde Liebes-Brunst mit sich bringet / und wie betrüglich der böse Feind mit den seinen zu verfahren pfleget: Wer ihm dienet hat einen bösen Herren / und giebt er solchen Sündenknecht die höllische Flamme zu Lohn. Es ist auch hierbey zu betrachten / wie weit Gott dem Satan zulasse / nemlich nur das fleischliche zu beherrschen / und das zeitliche zu verderben: die Frommen aber haben sich für diesem listigen Seelen-Feind nichts zu befahren / ob er sich gleich in ihre Gestalt /ja in einen Engel deß Liechts verstellen kan.


15. Der Teuffel hat der Kirchwey Kram.

Er reist mit Puppen auf die Meß /

(Betrüger ist sein alter Nam)

Der Leib / der Seelen Werck gefäß /

Wagt alles hin ob einer Pfeiffen /

So mehrmals nicht drey Heller werth /

Wann man sich dann bey Gott beschwert /

Wird man gewiß fehl müssen greiffen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 119-124.
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