(LXXXVI.)

Die kurtze Freud.

[286] Ein Antheil der grossen Unglückseligkeiten in diesem Leben / ist die Kürtze der Glückseligkeiten. Der Schmertz bedunckt uns allezeit lang / und eine Nacht eines Kranken kommet ihme für wie etliche Monat. Die Lüste hingegen sind gleich den Dünsten / welche in die höhe steigen / vergeistern / und als ein Traum Bild dahin fahren. Die fleischliche Wollust bestehet in flüchtiger Nichtigkeit / und vergehet wie der Meerschaum / von welchem / nach der Poeten nachstunigen Vorgeben / die Venus sol seyn gebohren worden.

2. In einer namhafften Statt / nechst den Pyreneischen Gebürgen / wohnte Critobul / ein reicher Bürger / welcher von Gott mit einer friedlichen Ehgattin und durch sie mit einem Sohn / und einer Tochter gesegnet war. Sein Leben war voll Vergnügung / seine Kinder waren wol erzogen / daß er viel Freude an ihnen hatte / und vermeinte daß das Sprichwort falsch: auf Freud folgt Leid: nicht wissend / daß ihn das Geschick nach diesen Honigsüssen Trachten /einē Salat von Wermut oder vielmehr Wehrmut vorbehalten / welches sein letztes Gerücht seyn musst.

3. Sein ältster Sohn Ripaire hatte seine Liebsneigung auf eine Jungfrau seines Standes gerichtet / weil ihme aber ein andrer vorkommen und ihre Eltern sie nicht wieder ihren Willen zwingen wollen / hat er mit grosser Betrübnis abziehen müssen. Diese Jungfrau hatte einen Vettern genannt Pammach ihrer Freyers grosser Freund und Stiffter der Heurat / daß er nothwendig Ripaire hindern müssen / seinem Freund besagter massen zu dienen. Dieser Pammach verliebte sich in Sabinam Clitobuls Tochter / und Ripaire Schwester / fande auch alle Gegenneigung daß eine Ehe voll zu Friedenheit nach gehends zu verhoffen ware.[287]

4. Sabina wolte in dieser Sache / ohne ihres Vaters Willen / nicht verfahren / und erhielte auch von ihme Verlaub / diesen als ihren künfftigen Hochzeiter / mit aller Freundligkeit zu empfahen / massen von seinem Vatern die Werbung angebracht und wilfährig beantwortet worden. Ripaire wolte sich / wegen vorbesagter Ursachen / an seinem baldkünfftigen Schwager rächen / und ihm so verhinderlich an seiner Heurat seyn / als er zu vor ihme gewesen / und zu solchem Ende redet er das ärgste von ihme / so wol gegen seine Schwester als gegen seinem Vater: wie wol alles vergeblich / weil der Vater das Wort / und die Schwester diesen Pammach das Hertz gegeben.

5. Als nun Ripaire sahe / daß der Fuchsbalch zu kurtz / gebraucht er sich der Löwenhaut / und suchet ursach mit diesem Hochzeiter seiner Schwester / einen Hader anzubinden. Pammach aber begegnete ihm mit fast über flüssiger Bescheidenheit / und antwortete dem Narren nicht nach seiner Narrheit. Da er es aber zu grob machte / sagte er / daß er nicht wisse woher er Ursach an ihn suchte / da er doch mit seiner Schwester / auf Gut finden ihres Vaters / verlobt / bittend ihn für einen Schwager und Diener aufzunehmen.

6. Als ihme aber Ripaire zu verstehen gabe besagte Ursach / und dargegen sattsame Entschuldigung anhörte / wolte er sich darmit nicht vergnügen / sondern sagte rund / daß er ihme seine Schwester nicht lassen wolte. Hierüber zörnte Pammach / sagende: daß er seiner Schwester nichts zu gebieten / und daß sie unter väterlicher Gewalt deme sie in diesem Fall gehorsamen / und der sein gegebenes Wort nicht wieder würde zu rucke nehmen / weil es seinem Sohn nicht gefällig. Hierüber kamen sie von den Worten zu Streichen / und ob sie wol damals durch andre geschieden worden / haben sie doch beederseits den Grollen in dem Hertzen behalten.

7. Wenig Tage hernach sendet Ripaire seinem neuer Schwager ein Fedbrieflein / welches er / wiewol ungerne und mit vielem Bedenken angenommen.[288] Er fande sich auf den Platz / Ripaire nur zu straffen /aber nicht zu tödten / doch ist der Stoß so übel geraten / daß er durch und durch gestochen / selbe Stund sterben / und Pammach sich mit der Flucht retten müssen. Der Entleibte wird in seines Vaters Hauß getragen / und so wol von dem Vater / als der Schwester bitterlich beweinet / nicht ohne Beysorg / daß hiermit alles Wolergehens Hoffnung möchte geendet seyn.

8. Clitobul wil keine Entschuldigung anhören /sondern schweret daß er Pammach nicht allein seine Tochter nicht geben / sondern auch ihn / oder ja seinen Namen an den Galgen bringen / und darauf alles sein Vermögen wenden wolle. Pammache Vater wil ihn trösten und seinen Sohn wieder einbitten; kan aber bey den betrübten Alten kein Gehör haben / und hat dieser Schmertzen das Angedencken aller vorigen Glückseligkeit / in seinem väterlichen Hertzen gleichsam durch strichen.

9. Pammach inzwischen hat sich gegen Hispanien gewendet / wiewol sehr verwundet / schwach und matt. In dem nechsten Wirtshaus schreibt er an seine Sabinam sie solte zu ihm kommen / und solches deßwegen / weil sie sein Weib durch das gegebene Ja Wort ihres Vaters / welches er nit wider zu rucke werde nehmen können: weil er solchen Mord nicht vorsatzlich sondern genöhtigt sich zu vertheidigen /gethan: Sie auch schuldig Vater und Mutter zu verlassen und ihrem Manne an zu hangen zc. daß dardurch ihr Vater geschehen lassen müsse / was er jetzund wieder alle Vernunfft zu thun verweigere / und wann sie ihme nicht in das Elend folgen wolle / daß er zu sterben / und sich in der Schergen Hände zu geben gewillet etc.

10. Diese / und dergleichen Ursachen vermögen die einfältige Sabinam / daß sie an den bestimmten Ort kommet / und mit Pammach / in das Spanische Gebiet fortwandert / wiewol er wegen seiner Verwundung /schwerlich gehen konte. Als sie nun in Sicherheit zu seyn vermeint / verloben sich diese beede[289] mit ehlicher Treue und musste Sabina endlich zu Vollziehung dieser Verlöbnis / bey zu liegen bereden lassen.

11. Durch so starke Bewegung deß Leibs / und aller derselben Geisterlein / sind Pammachs Wunden wiederum eröffnet und das Geblüt so häuffig heraus geflossen / daß er in einen Schlaff gefallen / von welchem er nicht wieder erwachet. Was Klagwort führte die verlassne Sabina? Sie war in einem fremden Land / deren Sprache und Sitten ihr unwissend. Die Noht /welcher Gebot eisenhart kan genennet werden / triebe sie endlich wieder auf den Ruckweg zu ihres Vaters Hauß / und hat sie die kurtze Freude mit langer Traurigkeit gebüsset / welche sich vermehret / als sie bey einer ihrer Befreunden verstanden / das ihr Vater sie todt haben wolte weil sie ihres Bruders Mord verursachet.

12. Hierüber betrübte sie sich so sehr / daß sie in eine todtliche Kranckheit gefallen / und nach kurtzer Zeit zu Grabe getragen worden. Also wurde der alte Vater aller seiner Kinder beraubt / und ist auch mit Schmertzen und grossem Hertzenleid verstorben.


So leichtlich sich Gläser zerstücken /

so leichtlich die Winde hin sausen /

so leichtlich die Wellen verbrausen /

so leichtlich uns Schmertzen berücken /

wir Menschen so flüchtig bestehen /

in Eile mit Eile vergehen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 286-290.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon