(CXXX.)

Die Schlaffgänger.

[446] Diese werden auch Nachtmännlein / Nachtfertige /Schlafflauffer / etc. genennet / und wollen wir wegen deß Namens keinen Krieg anfangen; wann auch jemand wie jener den Schnee wolte schwartz heissen /weil die Namen nicht eingeschaffen / sondern nach allgemeinem Belieben der Menschen erfunden worden: daß also einer wol die schwartze Farbe weiß /und die weisse schwartz nennen könte / wann er sich von dem alten Gebrauch absondern / und eine widersinnige Sprache aufbringen wolte / die beliebte Nachfolge aber hette er nicht zu gewarten. Das Wort Schlaffgängere kommet mit dem lateinischen Noctambulones ůberein / und ist der Sache gar gemäß / weil solche Leute bey Nachts in dem Traum aufstehen /herüm wandern / und doch kein Aug nicht aufthun.

2. Von den Ursachen dieser Krankheit können sich die Gelehrten nicht vergleichen. Paracelsus schreibet solche den Geistern zu / welchen die Nacht / wie den Leibern der Tag gewidmet sey / und wie Sonn[446] und Mond ihren Lauff wechselweis verrichten. Also / sagt er / führet den Menschen bey Tag sein guter Engel: bey der Nacht der böse Engel / der den Geist kränken kan / und in dem Traum der Menschen herümfůhren auch in gefährlichste Ort / jedoch ohne Schaden / weil er nicht mehr Macht hat / als ihm Gott zulässet / und solchen durch den guten Engel verhindert. Wann nun solche Geister / durch Benamung deß Schlaffgängers irr gemachet werden / erschrecken sie von der Menschen Stimm gleicher massen / als ein Mensch durch die Stimme eines Geistes etc. Dieser Meinung ist auch Kornmann am 199. Blat von Wunderwerken.

3. Der berühmte Johan Schenk und Andreas Laurentius bringen andre Ursachen / und wollen / daß solches nur bey denen zugeschehen pflege / welche güssendes und schaumendes Geblůt haben / das durch die starcke Einbildung (wie auch theils Thiere zu haben pflegen) erreget / und doch so verfinstere / daß sie die Gefahr / in welcher sie sich begeben / nicht erkennen mögen. Zu diesem kommet die Hitze und Trökne deß gantzen Leibes / welche diese Leute klimmen / und steigen machet / wie die Affen / Katzen / oder Geise / so alle dergleichen Leibsbeschaffenheit haben. Wie nun in dem Schlaff die Bewegung nicht aufhöret / sondern der Mensch muß Odem schöpfē / kan sich auch unwissend von einer Seiten zu der andern wenden: Also ist kein Wunder / wann solche Bewegungen bey einem Menschen / der / wie vor gedacht beschaffen ist / stärker / als bey den andern: massen auch die Träume unterschiedlich / welche von der Einbildung ihren Ursprung haben. Wann ihme nun ein Mensch einbildet / oder sich gelüsten lässet dieses oder ienes zu thun / die Vernunfft aber hält ihn bey Tag davon ab / und er entschläfft über dieser Einbildung / ist sich nicht zu verwundern / daß er solches schlaffend unternimmet: wann ihme diese Zuchtmeisterin nicht mehr Einhalt thun kan. Daß sie aber in solcher Bewegung nicht anfwachen / ist die Ursache / weil ihre Häubter mit so gar starken Dämpfen / daher der Schlaff entstehet / angefüllt. Genug von natürlichen Ursachen[447] wir wollen etliche Schlaffgänger auf den Schauplatz stellen und sehen / wie sie der blinden Kuhe spielen.

4. Gundisalvus ein Schulmeister / welcher in einem Kloster zu übernachten pflegte / hatte in dem Gebrauch / daß er zu Nachts lehrte / schalte / sange etc. wie bey Tags. Der Bruder / in dessen Zellen er lage /bedrauete ihn / er solte zu Nachts stille seyn und ihn ruhig schlaffen lassen / oder er wolte aufstehen / seine Ruten nehmen und ihn / wie er seine Schüler damit streichen. Der Schulmeister fasset dieses zu Gedancken / und entschläfft darüber. Zu Nachts stehet er auf nimmet eine lange Scheer / und gehet zu deß Bruders Bett / welcher zu allem Glücke gewachet und bey hellscheinendem Mond / diesen Nachtgänger gesehen / und sich hinter das Bett verkrochen. Gundisalvus aber näherte sich dem Bette / und stösset die Scheer etlichsmal in das Haubtküß / legt sich hernach wieder nieder. Deß folgenden Tages wusste er nichts darumb / sondern sagte allein / daß ihm getraumt / der Bruder sey mit der Ruten zu ihm kommen / und er habe sich mit der Scheer vertheidiget. Delrio I. 1. disquis. Mag. c. 3. qu. 3. fol. 15.

5. Es ward auch einer so nachtfertig sagt Bodin /dem folget sein Gesell / nach dem er ihn aber sahe in einen Bach eilen / wolt er ihm nicht nachsetzen / sondern hielt ihn hinter sich / und ruffte ihn bey seinem Namen / alsbald sanke der Schlaffende nieder und ersoffe l. 3, Dœmon. c. 6. am 190. Blat.

6. Vorgedachter Kornmann schreibt daß ein solcher Schlaffgänger einen Knaben unwissend habe ümgebracht. Galenus I de musculorum moru c. 4. erzehlet / daß er selbsten fast eine gantze Meile / bey tausend Schritten schlaffend gegangen / und nicht erwachet biß er sich an einen Stein gestossen / und alsdann befunden / daß ihm solcher Weg / den er zu raisen willens nicht saur worden. Etliche haben schlaffend gekochet / gearbeitet und sonsten das gethan / was sie Tags zu thun pflegten.[448]

7. Hierbey fragen die Juristen / ob ein solcher Schlaffgehender Todschläger / an dem Leben zu straffen? Die meinsten sagen nein darzu / doch mit der Bescheidenheit / daß sich ein solcher Mensch selbst in acht nehmen / einsperren oder wol gar sol anbinden lassen: und scheinet der Satan habe die Hand mit in dem Spiel / oder ein solcher habe den Vorsatz einen zu tödten. Guil. de Cuno in l. Divus ff. de offic. Præsid. Tiraquell. in tract. de pœnis remittend. & temperand. caus. 5.

8. Einsten erzehlte einer einem Fuhrmann daß er den Gebrauch habe in dem Schlaff aufzustehen / und in der Kammer herum zu rumoren / solte sich deßwegen nicht fůrchten / weil sie Schlaffgesellen waren. Ach nein / sagte der Fuhrmann ich habe den Gebrauch / daß ich mir Nachts einbilde ich fahre und treibe meine Pferde / legte ihm auch seine Geissel zur Hand: als nun der Schlaffgänger aufgestanden / hat ihn der Fuhrmann so lang gepeitscht / daß er nach Gott schreyen mögen / sagend / daß dieses sein Gebrauch /er solte sich nichts hintern lassen / er habe mit seinen Pferden zu thun / etc. Hierdurch ist der Schlaffgänger dieser Einbildung erlediget worden. Die Artzney kostet nicht viel.


Die Sünd' ist unser Schlaff' in dem wir uns vergehen /

aus blinden Unbedacht. Die Nacht die Eitelkeit

macht uns / doch unerwacht in der Gefahre stehen.

Weh dem / der nicht erkennt die schnelle Sterbens-Zeit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 446-449.
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