(CLV.)

Die peinliche Frage.

[549] Es weisen die zerbrochnen Spiegel alle Bilder wie doppelten Gegenstralen / und gestaltet fast ein jedes Stücklein ein besonderes Angesicht. Aus solchen Spiegeln haben etliche Weiber Mißgeburten ersehen /die vier Augen / vier Ohren / zwo Nasen und zweyerley Lippen gehabt / und sehr abscheulich anzusehen gewesen. Diego Saavedra mahlet einen Löwen / welches Bild in einem zerbrochnen Spiegel doppelt wiederscheinet / mit der Obschrifft:


siempre el mismo

Allezeit gleich oder unverändert.


Zielend auf die Beständigkeit / welche ein Fůrst auch in bösen und zergliederten Zustand seines Landes /haben sol.

2. Wir vergleichen einen zerbrochnen Spiegel[549] mit dem falschen Wahn / welcher alles doppelt vorweiset / und viel geringer / als es ist / zu erkennen giebet. Einen solchen in zwey Stücke gebrochnen Spiegel wollen wir in nachgehenden Trauer-Geschichten vorzeichen / und in diesem Schauplatz aufhangen / nicht zweifflend / es werden solche die / so sie noch nie gesehen / gerne betrachten.

3. Es hat sich vor Jahren zu Metz / in Lothringen /begeben / daß ein reicher Kaufman über Land verraiset / und sein Weib / Tochter und Magd hinterlassen. Der Nachrichter nimmet dieses in acht / und verschläget sich auf einen Abend in das Hauß / als die Thür ohn gefehr offen gestanden. Er versteckte sich in den Keller und gedüldete sich aldar / biß des andern Tages üm Mittagszeit / da erstlich die Magd / welche Getrank holen wollen / von ihme erwürget worden.

4. Die Frau wartet auf ihre Magd / welche nicht konte wiederkommen / schicket deßwegen die Tochter nach ihr / welche gleichfals von dem Henker durchstochen worden. Letzlich als diese Frau vermeinet / es sey der Fässer eines schadhafft worden / eilet sie in den Keller / wird aber auch von dem Scharffrichter /ergriffen und elendiglich ermordet: daß also dieser Bub drey Weibspersonen in einer Stund hingerichtet /und nicht eine bevor zu Gott seufftzen und beten / lassen.

5. Als nun der Henker das Haus versperret / die Schlüssel gefunden / alle Kästen eröffnet und was nur schetzbar ausgesuchet: hat er die drey Leichnam in den Keller begraben / und deß Abends verwartet seinen Raub darvon zu tragen / wie er dann auch bey der finstern Nacht gethan / daß dieser Sache niemand von der Nachbarschafft einträchtig werden konnen. Der Kauffmann kommet wieder heim / und kan nicht wissen / wo sein Haußgesind verborgen / meldet solches auf dem Rahthauß etlichen Herren an / und fügte sich daß eben der Scharffrichter nicht ferne darvon war /welcher sich vernehmen liesse / daß der Kauffmann mit seinem Weibe übelgestanden /[550] und wann man ihm Gewalt gebe / wolte er ihn wol fragen / daß die Warheit heraus kommen solte / etc.

6. Diese Rede wird von etlichen aufgefangen / und ist der arme unschuldige Mann / ohne fernern Beweiß / als daß er sich mit seinem Weibe nicht allezeit wolbegangen / an die Volter / oder Marterbank geworffen worden / da ihn der Scharffrichter der gestalt angegriffen / daß er aus Schmertzen die Mordthat / welche er nicht gethan bekennet / und deßwegen von dem Leben zu dem Tode verurtheilt worden.

7. Weil nun alle Welt schlieffe / wachte doch Gott über diesem unrechten Handel / daß der Henker sich selbst verrahten muste / welches geschehen durch einen Becher / den er verkauffet / und das darauf stehende Wappen nicht beobachtet. Der Goldschmied aber trägt solchen für den Raht / mit Bitte / den Henker zu besprechen / wo er zu dem Becher kommen: Als solches beschehen / hat dieser Meuchelmörder also bald bekennet / er habe des Kauffmanns Weib /Magd und Tochter üm das Leben gebracht / und in den Keller begraben (wie befunden worden) auch den Kauffmann selbsten / sich zu sichern hingerichtet. Deßwegen er auch seinen verdienten Lohn empfangen und lebendig gerädert worden.

8. Dergleichen hat sich auch zu Erfurt in Meissen zugetragen / daß zween Mörder sich in einer Wittib Hauß verborgen / sie zu erwürgen und zuberauben. Weil sie mit einer Magd allein gehauset / haben sie nichts zu befahren gehabt / aber doch kein grosses Geschrey machen wollē / damit nicht jemand in der Nachbarschafft ihnē zu hülffe kommen möchte. Als sie nun nicht gewust / wie sie die Magd samt der Frauen aus der Kammer locken solten / sind sie einer Ziegen in dem Stalle gewahr worden / welche sie gezwicket und geklemmet / daß sie angefangen stark zu schreyen / daß die Frau die Magd hinabgeschicket /zu erkůndigen / was der Ziegen mangelte / und als sie nicht wiederkommen / sondern von den Mördern erwürget worden / ist sie selber hinab gegangen / und hat gleichen Tod erlitten.[551]

9. Nach verübter Mordthat / haben sie das Hauß geplündert / und sind zu Nachts wieder aus dem Hause gegangen / also / daß niemand / als ein Hůndlein darinnen geblieben / welches folgenden Morgens so jämmerlich geschrien / daß es die Nachbaren gehöret / und weil sie niemand in dem Hause erpochen können / solches dem Raht angemeldet /welcher das Hauß eröffnen lassen / und die todten Leichname der Frauen und Magd gefunden haben.

10. Es war aber in besagter Statt ein Kirchner / der bey dieser Wittib täglich aus- und eingienge / und in dem Hause viel Gemeinschafft hatte: Dieser war in Verdacht / daß er solche Weibspersonen erwürget. Die Befreunde der Abgeleibten bringen zu wegen /daß dieser Kirchner gefänglich angenommen / und mit der scherffe befraget wurde / daß er aus Marter die That bekennet / und anzeiget / daß er ein Messer darzu gebrauchet mit einer braunen Schalen / welches er hernach in das heimliche Gemach geworffen. Weil man nun das Messer alldar gefunden / und er auf seiner Bekäntnis verblieben / ist er als ein Mörder hingerichtet worden / und als ein undankbarer / weil er in derselben Hause viel Gutes empfangen / von jedermann gescholten worden.

11. Die Thäter haben diesen auch hinrichten sehen / und sich darüber erfreuet / und nun sicher zu seyn vermeint. Nicht lang hernach aber kame einer von ihnen / wegen eines andern Verbrechens ein / und bekennte / wie es hergegangen / und entschüldiget den Kirchner / daß er unschüldig sterben müssen / und dardurch ist ihr Verbrechen gehauffet / und sind sie mit wolverdienter Straffe zugleich angesehen worden.

12. Diese Geschichte sollen die Richter lehren behutsam zu verfahren / und nach fürgeschriebenen Rechten niemand an die peinliche Frage werffen lassen: er sey dann deß Verbrechens überwiesen / und wolle es doch nicht bekennen / zu deme ist ein Unterscheid in den Personen zu halten / ihr Leben und Wandel zu erkündigen / und auf eines Verleumders /oder den gefassten Wahn deß gemeinen Mannes nicht zu[552] gehen. Viel sicherer ist zehen schüldige arme Sünder loß zu lassen / als einen Unschuldigen verdammen.

Wer unschüldig Blut vergeusst

niemahls wahrer Ruh geneusst /

dann das / was er hat gethan /

ist ihm selbsten eine Ruht /

und steigt / wie deß Abels Blut /

von der Erden Himmel-an.

Richter deinen Spruch betracht /

und nimm Gottes Wort in acht!

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 549-553.
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