(CLXV.)

Die unverhoffte Rache.

[588] Der Mensch kan füglich mit einem Spiegel verglichen werden / dessen Seele dem Glaß / der Leib aber dem Bley- oder Silbergrund gleichet. Ist nun ein Fehl oder Steinlein in dem Glaß / so wird solches auch in dem Gegenbild / und dem Angesicht der bespiegelten Person wiederscheinen: wie eine boßhaffte Seele / ihre Laster in dem Nechsten / Freund und Gesellschafft erweiset. Hiervon wollen wir eine sehr jämmerliche Erzehlung anhören.

2. In der weltgrossen Statt Paris haben sich vor wenig Jahren zween Engeländer aufgehalten / und eine Behausung gemiedet / bey dem Thor S. Marceau. Wie nun die Freundschafft unter ungleichen Personen selten beständig ist / und solche Ungleichheit sich nicht nur auf die Sitten / Verstand und Wissenschafft erstrecket / sondern auch die Glůcksgüter belangent: also hat zwischen diesen Landsleuten deren der eine reich und stoltz / der andre aber arm und[588] heimdückisch / keine vertreuliche Tugendfreundschafft sich binden und finden können.

3. Carlell der reiche hat nicht nur viel Gelds / sondern auch eine güldene Ketten / Ringe und kostbare Kleidern / welche dem andern einen Lust machten sich auf unzulässige weise zu bereichern / und sich durch deß andern meuchellistigen Tod / zu seinem Erben einzusetzen. In diesem bösen Vorhaben sterckte ihn seine Armut / weil er wol wuste / daß seine Eltern ihm so viel Gelds / als er verzehrte / nicht konten zuordnen. Also hangt ein Laster an den andern.

4. Nach langem Bedacht fůhrte dieser Arlid (so nennte sich dieser Engelländer) Carlell spatziren / in das lustige Gefild Vincennes genannt / und ersihet in einem Weinberg daherüm seinen Vortheil / daß er ihn ruckwarts anfällt / zu Boden wirfft / etliche Stieche giebt / und den Schlund verletzet: darüber der Verwundte in eine Ohnmacht fället / und also wie jener in dem Evangelio / halb todt liegend verbleibet. Dieses beschahe in einer Einöde / dahin niemand als die Weinhacker pflegten zu kommen / und vermeinte Arlid / daß er nun sicher / und von niemand würde können verrahten werden.

5. Nach dieser That eilt er in die Statt / setzet sich zu einem Erben Carells ein / bezahlet seinen Wirth /und ziehet in die Vorstatt S. Germain. Der getrewe GOtt aber wolte diese grosse Untreue nicht ungestrafft hingehen lassen / und diesen Meuchelmörder /auf unbedachte weise / zu verdienter Straffe ziehen. Also hat jener recht gesagt / daß alle Sünde aus dem blinden Unglauben herrühren / in dem nemlich solche Frevel nicht glauben / daß Gott gerecht / und das Böse bestrafft / das Gute hingegen belohne.

6. Der Durchstochene findet einen mitleidigen Samariter von dem Bauersvolk daherüm / der ihm seine Wunden verbande so gut er mochte / und in die Statt gebracht / da ihn dann der berühmte Wundartzt Ambrosius Pareus (welches er in seinem 9. Buch 31. cap. dieser Geschichte gedenket) durch Gottes Gnade das Leben noch etliche Tage gefristet / daß[589] er wieder reden / und wie er verrähterischer weise von seinem Landsmann also zugerichtet worden / erzehlen können.

7. Arlid der Thäter wird auskundschafftet / gefangen / und mit dem Raub Carlells / so wol als mit seinem bösen Gewissen ůberzeuget / daß er den Mord bekennet / und lebendig gerädert worden. Der Verwundte aber ist / bald nach dem eröffneten Verlauff /todes verblichen / daß seine Hinterlassenschafft den Schergen in Handen geblieben.

8. Folgende Geschichte ist älter / schicken sich aber wegen gleichsfals unerwarter Rache zu gegenwärtiger. Zu Zeiten König Karl deß IX. dieses Namens / ist Frankreich fast in seinem eignen Blut ersoffen / und aus besorglicher Empörung befohlen worden / daß man alle die auf der Gassen mit einander reden zerstören / in Verhafft bringen / oder gar erwürgen solte / »massen die Tyranney auch die Unschuld in bösen Verdacht zu halten pfleget.«

9. Dieses ward auch zu Bourges eingefůhret / und unter andern Garget / einem Haubtmann von der Wacht anbefohlen / welcher ein böser Bube war / und unter solchem falschen Schein nicht wenig unschuldiges Blut vergossen hatte. In dem er seiner Obern Befehl Folge gelaistet / hat er gantz aus den Augen gesetzet / daß man Gott mehr gehorsamen sol / als den Menschen.

10. Nach dem er nun besagter massen geraset / hat ihn GOtt mit einem hitzigen Fieber angegriffen / daß er gantz unsinnig durch die Statt gelauffen / und gefragt / ob jemand mit ihm in die Hölle wolle / er könne einen Zerungsfrey halten / und das Fuhrlohn bezahlen. Ist also unsinnig und verzweifflend dahin gestorben.

11. Ein Weber zu Basel fůhrte ein böses Leben /lage Tag und Nacht in Füllerey / daß ihme Zeit zerrane sich anzufüllen / und wieder aus zunüchtern. Weil er aber mit Händ und Füssen so viel nicht gewinnen mochte / als er Verlag zu seinem Fressen und Sauffen von nöhten hatte / begabe er sich auf die[590] Rauberey /und thate zwischen Solothurn und Zürch grossen Schaden. Eins fügte er sich zu seinem Vettern Andreas Ager nach Basel / welcher sein Gerhaber gewesen /und ein redlicher Mann war / seines Handwerks ein Buchbinder. Diesen erschlägt er als er noch frühe in dem Bette lage / mit dem Hammer / welchen er zu dem Bůcher schlagen gebrauchet / wie auch die Magd / plündert das Hauß und stecket es in Brand.

12. Die Nachtbaren kommen das Feuer zu leschen /und finden die Ermordten noch unverbrant. Einer hat diesen Thäter heraus gehen sehen / ihm nachgeeilet /und weil er in der Flucht ein Bein gebrochen / leichtlich ergriffen / wieder in die Statt gebracht / und der Obrigkeit zu verdienter Straffe gestellet / welche ihn lebendig rädern und verbrennen lassen; massen solcher vorsetzlicher Meuchelmord wol verdienet hat.


Unrecht bleibt nicht ungestrafft:

stehet es an lange Zeit /

ist doch Gottes Rut nicht weit /

Die gerechte Rache schafft:

dann nichts ist so klein gesponnen /

das nicht kommet an die Sonnen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 588-591.
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